Prophetie
Zwischen Fanatismus und Gleichgültigkeit
Die Bedeutung der dritten Engelsbotschaft
Ellen G. White nannte die drei Engelsbotschaften „den größten Reichtum der Wahrheit, der jemals Sterblichen anvertraut wurde, die eindringlichsten und ernstesten Warnungen, die den Menschen jemals von Gott geschickt wurden, ... um sie an die Welt weiterzugeben“ (7T 138). Zugleich betont sie: „Verschiedene haben mir geschrieben und gefragt, ob die Botschaft der Rechtfertigung aus dem Glauben die dritte Engelsbotschaft ist – und ich habe geantwortet: ‚Sie ist die dritte Engelsbotschaft in Wahrheit.‘“ (RH 01.04.1890 = 1SM 372)
Diese dritte Engelsbotschaft, die mit den vielleicht schärfsten Worten und deutlichsten Konsequenzen vor Augen malt, welche Tragweite eine Entscheidung gegen Christi Gerechtigkeit und sein Gesetz beinhaltet, liest sich wie folgt: „Und ein dritter Engel folgte ihnen und sprach mit großer Stimme: Wenn jemand das Tier anbetet und sein Bild und nimmt das Zeichen an seine Stirn oder an seine Hand, der wird von dem Wein des Zornes Gottes trinken, der unvermischt eingeschenkt ist in den Kelch seines Zorns, und er wird gequält werden mit Feuer und Schwefel vor den heiligen Engeln und vor dem Lamm. Und der Rauch von ihrer Qual wird aufsteigen von Ewigkeit zu Ewigkeit; und sie haben keine Ruhe Tag und Nacht, die das Tier anbeten und sein Bild und wer das Zeichen seines Namens annimmt.“ (Offb 14,9-11)
Unmittelbar auf diese Gerichtsankündigung folgt der häufig als „Durchhalteparole“ interpretierte Vers: „Hier ist Geduld der Heiligen! Hier sind, die da halten die Gebote Gottes und den Glauben an Jesus!“ (Vers 12) Es handelt sich um eine Gegenüberstellung: Auf der einen Seite stehen jene, die Gott treu nachfolgen, indem sie seine Gebote halten und Christi Gerechtigkeit zur Vergebung ihrer Schuld in Anspruch nehmen. Sie zeichnen sich insbesondere durch das Halten des von dem größten Teil der Christenheit nicht für verbindlich gehaltenen Sabbatgebots aus, das dem Aufruf der ersten Engelsbotschaft entspricht: „Betet an den, der geschaffen hat!“ Auf der anderen Seite stehen alle, die sich nicht an Gottes Gebote gebunden fühlen (oder auch nur ein einziges wissentlich missachten), die Gottes Gesetz entweder grundsätzlich ablehnen oder aber an dessen Stelle durch Menschen veränderte religiöse Anweisungen befolgen.
Keine Gute-Nacht-Geschichte
Die dritte Engelsbotschaft ist keine Gute-Nacht-Geschichte. Sie wird kaum für Ruhe und geistlichen Schlummer sorgen, sondern die Gemüter aufwecken, bisweilen sogar erhitzen, Aufrichtige zur Erweckung und Lebensreform bewegen, während andere sich umso entschiedener gegen die Prediger wenden, die gemäß der dritten Engelsbotschaft zur Entscheidung für Heil oder Unheil aufrufen.
Gerade weil die Botschaft bzw. die darin enthaltenen Konsequenzen so ernst und eindringlich sind, sollte sie mit umso größerer Herzenswärme und liebevoller Leidenschaft verkündigt werden. So sagt Ellen White an anderer Stelle: „Niemand wurde je durch Tadel und Vorwürfe von einem falschen Weg zurückgeführt, aber viele wurden auf diese Art von der Wahrheit abgebracht und haben ihre Herzen gegen jede Überzeugung verhärtet. Ein liebevoller Geist, ein einfühlsames und gewinnendes Benehmen kann die Irrenden retten.“ (4T 65) Weiterhin ergänzt sie: „Menschliche Wesen, die ja selbst im Bösen verhaftet sind, neigen leicht dazu, mit dem Versuchten und Irrenden unsanft umzugehen. Sie können nicht im Herzen lesen, sie wissen nicht um seinen Kampf, seinen Schmerz. Sie müssen es lernen, in Liebe zu tadeln, heilsame Wunden zu schlagen, in die Warnung die Hoffnung einzuflechten.“ (Erziehung, 83)
Je schwerwiegender die Botschaft, je größer die Konsequenzen im praktischen Lebensalltag und für die Ewigkeit, desto liebevoller und barmherziger muss die Botschaft verkündigt werden – ohne jedoch ihre Wirkung durch Verwässerung oder Abmilderung zu schmälern.
Ein Anker für die Endzeit
Ellen White erklärt weiter, dass ihr „diese [drei Engels-]Botschaften als ein Anker für Gottes Volk gezeigt wurden. Diejenigen, die sie verstehen und annehmen, werden nicht von den vielen Verführungen Satans hinweggerissen werden.“ (FS 243) Darüber hinaus ist es das richtige Verständnis der dritten Engelsbotschaft, das „die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erleuchtet, [sodass] wir wissen, dass Gott uns wirklich durch seine geheimnisvolle Vorsehung geführt hat“ (1SG 164). Von der richtigen Verkündigung, dem rechten Verständnis bei den Zuhörern und einer konsequenten Übernahme dieser Botschaft und damit einer Neuausrichtung des persönlichen Lebens an den lebenspendenden Geboten Gottes hängt die Stabilität unseres Glaubens im Blick auf Gottes Führung seiner Adventgemeinde in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sowie unsere Widerstandsfähigkeit gegenüber den Versuchungen der Endzeit. Sie ist damit wirklich von allergrößter Wichtigkeit.
Zugleich ist diese Botschaft aber nicht allein eine Warnung vor den Folgen der Annahme unbiblischer Überzeugungen und damit dem Bruch der Gebote Gottes – sie ist auch ein Aufruf, sich durch die Gerechtigkeit Christi retten zu lassen. Die Botschaft macht deutlich, dass, während sie verkündigt wird, noch die Möglichkeit der Entscheidung besteht. In diesem Sinne ist die Botschaft des dritten Engels auch die Botschaft der Rechtfertigung aus dem Glauben (1SM 372) – die Botschaft, dass Gottes Gnade unsere Schuld bedeckt, wie groß sie auch sein mag, wenn wir sie bereuen und uns der Gnade des barmherzigen Gottes anvertrauen, der die Menschen dieser Welt so sehr liebt, dass er seinen Sohn bereits zur Erlösung der Sünder gab (Joh 3,16), als sie noch Gottes Feinde waren (Röm 5,10). Die erste Engelsbotschaft weist gerade auf diese Möglichkeit der Erlösung von Schuld hin, wenn sie erklärt: „[...] die Stunde seines Gerichts ist gekommen“ (Offb 14,7). In gerade diesem Gericht wird der Prozess zugunsten der Nachfolger Jesu entschieden, es wird Gericht für sie und nicht gegen sie gehalten (Dan 7,22). Aus diesem Gericht geht jeder, dessen Name genannt wird, mit einem Freispruch und der Zusicherung des Ewigen Lebens hervor! So steht in dieser Botschaft natürlich die Rechtfertigung aus Glauben im Mittelpunkt (1SM 372).
Warnung vor Fanatismus
Die dritte Engelsbotschaft erschallt in einer Zeit, in der die Menschen mehr über Gottes Liebe hören, als über die fatalen Konsequenzen der beharrlichen Rebellion gegen ihn. Vermutlich deshalb gibt es zu dieser (End-)Zeit die „eindringlichsten und ernstesten Warnungen, die den Menschen jemals von Gott geschickt wurden“ (7T 138). Eine deutliche Predigt ist erforderlich, um die Gleichgültigkeit zu durchbrechen.
Andererseits darf es nicht zu Fanatismus kommen. Auch das wird uns von Ellen White immer wieder mahnend mit auf den Weg gegeben und in der Heiligen Schrift durch verschiedene Beispiele, insbesondere durch die Verirrungen der antiken Pharisäerschaft, deutlich vor Augen geführt. Es ist ein „intelligentes Christentum“ (3T 367; CE 50), das wir aufbauen sollen – nicht eine durch Emotionen getragene Anhängerschaft, die ohne rechtes biblisches Verständnis vermeintlich für Gott eifert (Röm 10,2) und dabei viele seiner potenziellen Nachfolger durch ihren Fanatismus vergrault. Dazu gehört viel mehr als ein oberflächliches Verständnis unserer Kernbotschaften. Es geht um ein umfassendes Verständnis unseres Standpunktes und unserer Pflichten vor Gott – in jedem Bereich des Lebens. Das alles gehört zu einer guten, ausgewogenen Verkündigung der dritten Engelsbotschaft.
Wenn dieser Engel, aufbauend auf der ersten Botschaft mit ihrem Ruf zur Anbetung des Schöpfergottes, dem eben gerade durch das Heilighalten des Schöpfungssabbats gedacht wird (2. Mose 20,11), zum Halten der Gebote aufruft, so muss dies doch substanziell das ganze Leben durchdringen und nicht allein beim Sabbathalten stehen bleiben: „Der größte Beweis, der der Welt für die Kraft des Christentums vorgelegt werden kann, ist eine gut geordnete, disziplinierte (wohlerzogene) Familie. Das wird die Wahrheit wie nichts anderes empfehlen, denn es ist ein lebendiges Zeugnis ihrer praktischen Wirkung auf das Herz.“ (4T 304) Das praktische, alltägliche Leben in Familie und Gesellschaft wird die Kraft der biblischen Botschaft beweisen. Die Verbindung zwischen der 1888-Botschaft hinsichtlich der Gerechtigkeit aus Glauben, die das ganze Leben heiligt, und der dritten Engelsbotschaft, die als Prüfung der Endzeit den konkreten, persönlichen Einsatz zugunsten des von Gott geforderten moralischen Standards „testet“, ist unauflösbar. Im Grunde dürfte nur ein Mensch, der wirklich die heilsame Gnade Gottes in seinem Leben erfahren hat, mit der daraus resultierenden liebevollen Barmherzigkeit und Eindringlichkeit die so ernste, dritte Engelsbotschaft verkündigen.
Die Verbindung zum Sabbat
Es bedarf eines gründlichen Bibelstudiums, um die tiefen Zusammenhänge der drei Engelsbotschaften sowie deren Stellung im Heilsplan Gottes richtig einschätzen zu können. In der frühen Adventgeschichte wurde dies von unseren Pionieren in jahrelanger Arbeit getan, im Rahmen der sogenannten „Sabbatkonferenzen“ der Jahre 1844 bis 1851. Nachdem die Shut-Door-Theologie überwunden war (man glaubte zu Beginn, die Gnadenzeit sei bereits verstrichen) und man sich wieder auf die evangelistische Gewinnung von Menschen konzentrieren konnte, wurde es wichtiger, den Auftrag bzw. die Botschaft für die letzte Zeit klar zu verstehen. Diese erkannte man in den Versen von Offenbarung 14,6-12. Die ersten beiden waren bis zur großen Enttäuschung 1844 bereits verkündigt worden, wenn auch noch nicht mit umfassendem Verständnis. Die Verankerung der Sabbatwahrheit in der ersten Botschaft stand noch aus.
Durch die Entdeckung des wahren, biblischen Sabbats ergab sich dann aber eine klare Sicht und konsistente Deutung: Die erste Botschaft ruft zur Sabbatreform auf. Die Stunde des Gerichts war gekommen und der Maßstab jenes Geschehens sind natürlich die Zehn Gebote. Aber nur eines davon spricht von Gott als dem Schöpfer, der durch das Halten des Sabbats geehrt wird (2. Mose 20,11). Die Ablehnung dieser Botschaft bzw. des Gehorsams diesem göttlichen Gebot gegenüber würde zur zweiten Botschaft führen: Zu Babylon gehören all jene, die diese Endzeit-Reformbotschaft nicht annehmen wollen, obwohl sie ihnen deutlich als biblisch korrekt vor Augen geführt wurde. Verharrt man wiederum in dieser Ablehnung, würde die dritte Engelsbotschaft die Konsequenzen verkündigen, um damit (hoffentlich) noch einige von ihrem untreuen Zustand zur Glaubens- und Lebensreform zu bewegen.
Während schon die Siebenten-Tags-Baptisten diese Wahrheit für viele Jahre verkündigt hatten, waren sie doch nicht wirklich erfolgreich damit. Sie glaubten, dass dies schlicht ein weiterer Teil der katholischen Verfälschung der biblischen Wahrheit sei, der reformiert werden müsse. Das ist richtig. Aber der Ansatz, der der Sabbatwahrheit nun wirklich reformerische Kraft verleihen würde, kam erst durch das rechte Verständnis der dritten Engelsbotschaft und der Verbindung der Sabbat-Verkündigung mit den göttlich angekündigten Konsequenzen bei Ablehnung derselben: „Trenne den Sabbat von den [drei Engels-] Botschaften und er wird seine Kraft verlieren; aber wenn er mit der Botschaft des dritten Engels verbunden ist, begleitet ihn eine Kraft, die Ungläubige überzeugt und ihnen Kraft verleiht, zu stehen, zu leben, zu wachsen und im Herrn aufzublühen.“ (1T 337)
Durch die drei Engelsbotschaften wird der Sabbat speziell in unserer Zeit als Gradmesser Gottes für die Treue innerhalb der (Namens-) Christenheit verankert. Er erhält eine spezifisch endzeitliche und doch auch deutlich ewige Tragweite. Als solches im Rahmen des Endzeitszenarios von Offenbarung 12-14 verkündigt, muss der Zuhörer eine Entscheidung treffen. Die Dringlichkeit liegt dann offen auf der Hand. So ist auch zu erklären, weshalb die Siebenten-Tags-Baptisten (STB) von der Gründung ihrer ersten Kirche in den USA (1671) bis zur Organisation der Generalkonferenz der STB (1801) nur acht Gemeinden mit insgesamt neun Predigern und 1.130 Gliedern aufbauen konnten. Die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten hingegen gewann im vergleichbaren Zeitraum (130 Jahre: 1844-1974) 2,2 Millionen Glieder.
Getragen von Nächstenliebe und Barmherzigkeit
Es wird deutlich: Allein die richtige Botschaft (Sabbatwahrheit, Verbindlichkeit der Zehn Gebote) genügt nicht. Sie muss auch im rechten historischen Rahmen (die biblischen Zeitweissagungen bis zur ersten Engelsbotschaft 1844: Die Stunde des Gerichts ist gekommen) und als „gegenwärtige Wahrheit“ für unsere Endzeit-Epoche verkündigt werden. Das muss dann aber in aller Deutlichkeit, getragen von christlicher Nächstenliebe und Barmherzigkeit, geschehen. Davon darf uns als Adventisten nichts abhalten, denn es gibt kein wichtigeres Thema in unserer Verkündigung: „In einem ganz bestimmten Sinn sind Siebenten-Tags-Adventisten der Welt als Wächter und Lichtträger gegeben. Ihnen ist die letzte Warnung für eine untergehende Welt anvertraut worden. Auf sie scheint das herrliche Licht vom Wort Gottes. Ihnen ist eine Aufgabe von größter Wichtigkeit übertragen worden – die erste, zweite und dritte Engelsbotschaft zu verkündigen. Kein anderes Werk ist von solch großer Bedeutung. Sie dürfen sich deshalb von nichts anderem ihre Aufmerksamkeit rauben lassen.“ (9T 19)
Und weiter schreibt Gottes Botin: „Unser Werk ist ein göttliches Reformwerk, eine Erfüllung des prophetischen Wortes. Wir haben ein besonderes Werk zu tun, das von keinem anderen Volk und keiner anderen Gemeinschaft der Welt getan wird.“ (RH 21.12.1905) „Es sind viele köstliche Wahrheiten im Wort Gottes enthalten, aber es ist „gegenwärtige Wahrheit“, was die Herde jetzt braucht. Ich habe die Gefahr gesehen, wenn Prediger die wichtigen Punkte der gegenwärtigen Wahrheit verlassen und sich bei solchen Themen aufhalten, die nicht zur Einigung der Herde und Heiligung der Seele beitragen. Satan wird jeden möglichen Vorteil wahrnehmen, das Werk zu schädigen. Aber solche Themen, wie das Heiligtum in Verbindung mit den 2300 Tagen, die Gebote Gottes und der Glaube Jesu, sind vollkommen geeignet, die vergangene Adventbewegung zu erklären und zu zeigen, was unsere gegenwärtige Stellung ist, den Glauben der Zweifelnden zu festigen und ihnen die Gewissheit der herrlichen Zukunft zu geben. Ich habe häufig gesehen, dass dies die vorrangigen Themen sind, über die die Prediger sprechen sollen.“ (FS 54)
Info:
Alle Vorträge vom Theologischen Symposium 2018 zum Thema „Die dritte Engelsbotschaft zwischen Fanatismus und Gleichgültigkeit“ sind auf der BWV-Webseite zu finden unter: www.bw.adventisten.de/medien