Aus der Abteilung Kommunikation
Aus Gottes Hand
Die Anfänge der Adventgemeinden im deutschen Südwesten
„Wenn man’s mit der Bibel genau nimmt, muss man auch den Sabbat halten. Ich gehöre unter den Protestanten zu den Leuten, die den Sabbat heiligen.“ Als diese Worte in der Werkstatt des Schuhmachers Johannes Gölz (1863-1938) fielen, begegneten sich in Weilheim, dem Städtchen am Fuß der Schwäbischen Alb unweit von Esslingen, scheinbar zufällig zwei Welten. Zum einen der einfache Schuhmacher, der auf dem alten Kontinent durch eigenes Bibelstudium zur Erkenntnis gelangt war, dass in der Bibel der Sabbat und nicht der Sonntag als Ruhetag genannt ist. Und neben ihm ein amerikanischer Besucher namens Bauer. Er hatte in den USA die Adventbotschaft kennengelernt und war aus Amerika nach Weilheim zur Beerdigung einer seiner Verwandten gekommen. Wegen einer notwendigen Schuhreparatur suchte er nun Meister Gölz auf. Da der amerikanische Gast beim Anblick einer Bibel zwischen den Schuhen schon geahnt hatte, dass hier ein bibeltreuer Gläubiger arbeiten musste, erzählte Bauer nun in der Schuhmacherwerkstatt vom Adventglauben und erläuterte die bibli-sche Wahrheit des Sabbats. In einer Zeit ohne Internet und Mobiltelefon fand Johannes Gölz dann auch noch den gerade in Bad Cannstatt wirkenden adventistischen Reiseprediger und Buchevangelisten Emil Frauchiger (1865-1947). Dieser taufte den bibeltreuen Schuhmacher schließlich im Winter 1896 im Neckar.
Zuvor hatte die ebenfalls am Rande der Alb wohnende Pfullinger Methodistin Christiana Rilling (geb. Kober, 1836-1919) durch eigenes Bibelstudium den Sabbat erkannt. Im Jahr 1893 klopfte die Buchevangelistin M. Scheuermann im Zuge der damals breit angelegten Haus-zu-Haus-Besuche auch bei der Wohnung der Methodistin an. Diese berichtete, dass sie den Sabbat aufgrund eigenen Bibelstudiums halte. Der zu dieser Zeit im Stuttgarter Raum tätige Emil Frauchiger gab Christiana Rilling daraufhin Bibelstunden. Nicht lange danach taufte Ludwig R. Conradi (1856-1939), ein unermüdlicher und erfolgreicher Wegbereiter der Adventgemeinden in Deutschland und Europa, Schwester Rilling am 18. Februar 1894 im eisbedeckten Neckar. Damit wurde sie die erste Adventistin im Landkreis Reutlingen1.
Solche scheinbar zufälligen Begegnungen sind nun alle aufgespürt und erstmals in einem neuen Buch zusammengestellt worden. Dieser von der Baden-Württembergischen Vereinigung herausgegebene Band ist nicht nur eine Initiative, um Gottes Wunder in der Mission vor dem Vergessen zu bewahren. Vielmehr wird hier die Entstehung der Gemeinden im deutschen Südwesten in der Zeit ab 1887 aufgezeigt.
Bereits in den späten 1840er Jahren hatte sich um den Bauern Wilhelm Heiß2 aus Roßbürg bei Crailsheim ein erweckter Kreis von Gläubigen gebildet. Diese Gruppe übernahm die Sabbatfeier aus den Schriften des Pietisten John Tennhardt (1661-1720) und schloss sich um die Jahrhundertwende der lokalen Adventgemeinde in Crailsheim an. Ludwig R. Conradi traf diesen unabhängigen Sabbatkreis erstmals 1889. So verknüpfte er – nachdem er in den USA Adventist geworden war – auf wundervolle Weise den Adventglauben zwischen beiden Kontinenten.
Schon vor den denkwürdigen Begegnungen, sowohl am Rande der Schwäbischen Alb als auch im Osten Württembergs bei Crailsheim, gab es bereits ein weiteres unglaubliches Zusammentreffen: Ein Bettler war auf seinem Weg in den wärmeren Süden, als er an die Tür des ersten europäischen Adventistenpredigers in Basel klopfte. Jakob H. Erzberger nahm den Bettler freundlich auf und lud ihn ein, für einige Tage sein Gast zu sein. Dort lernte der Fremde den biblischen Ruhetag in einer adventistischen Familie kennen. Da der Bettler bereits 1874 im pietistischen Rheinland Menschen kennengelernt hatte, die in gleicher Weise den Samstag als Ruhetag feierten, erhielt der deutschsprachige Pastor Erzberger Kontakt zu dieser sabbathaltenden Lindermann-Gruppe3. Da der Schweizer Adventist Jakob H. Erzberger gerade von der Generalkonferenz in Battle Creek zurückgekehrt war, entstand so eine weitere Verbindung der adventstischen Wahrheit aus Nordamerika mit Sabbatgläubigen in Deutschland.
Blick zurück und doch in die Zukunft
Diese erstaunlichen Verknüpfungen markieren den Beginn der Siebenten-Tags-Adventisten im Südwesten Deutschlands. Und wer ist von diesen Ereignissen nicht berührt? Sind diese besonderen Erfahrungen nicht vergleichbar mit dem Zusammentreffen von Philippus mit dem Kämmerer aus Äthopien? Jedenfalls fordert die Bibel uns auf, die Ereignisse und Erfahrungen aus der Vergangenheit nicht zu vergessen: „Nur hüte dich und bewahre deine Seele wohl, dass du die Geschehnisse nicht vergisst, die deine Augen gesehen haben, und dass sie nicht aus deinem Herzen weichen alle Tage deines Lebens, sondern du sollst sie deinen Kindern und Kindeskindern verkünden!“ (5. Mose 4,9 Schlachter). Gott zeigt uns auf, woher wir kommen und wohin wir gehen. Es gilt daher, vergangene Entwicklungen und historische Ereignisse in Verbindung zur Gegenwart zu bringen – genau wie die nun erstmals zusammengestellte Entstehungsgeschichte von über vierzig vor allem städtischen Gemeinden und Gruppen in der Zeit von 1893 bis 1914. Mit dem neuen Band über einen besonderen Zeitabschnitt der Adventgeschichte in Baden-Württemberg ist es möglich, frühere Ereignisse aus den missionarisch sehr dynamischen Gründungsjahren zu Beginn des 20. Jahrhunderts für das gegenwärtige Geschehen auszuwerten und in die Lösung heutiger Herausforderungen einzubeziehen.
Quellen:
1 Adventgemeinde Reutlingen. Adventgemeinde Reutlingen 1909–1984. Jubiläumsschrift zum 75-jährigen Bestehen der Adventgemeinde Reutlingen, 1984. 8 Seiten.; 2 Daniel Heinz. Exklusivität und Kontextualisierung: Geschichte und Selbstverständnis der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland. In: Freikirchenforschung, Bd. 10, Münster, 2000, S. 35.; 3 Vgl. Niederschrift von Dorchen Weilemann. In: Archiv der Siebenten-Tags-Adventisten in Europa, N 6–1.
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