Kirche
Die Neuapostolische Kirche und der Zustand der Toten
Interview mit einem ehemaligen Mitglied
Liest man die Geschichte von Saul bei der Hexe von Endor (1. Sam. 28), fällt es oft schwer, sich die Szene vorzustellen. Der Gedanke, mit Toten zu kommunizieren, erscheint uns fremd und erinnert eher an Grusel lme. Auch wenn wir der Bibel klare Aussagen zum Zustand der Toten und dem Kontakt zu ihnen entnehmen, sind sich nicht alle Kirchen in dieser Frage einig. Steffen B. kam vor etwa fünf Jahren zum ersten Mal in die Adventgemeinde und ist heute Adventist. Aufgewachsen ist er in der Neuapostolischen Kirche (NAK). Der Kontakt zu Verstorbenen war für ihn schon als Kind selbstverständlich. Er war bereit, seine Erfahrungen und wie diese mit der NAK zusammenhängen, mit uns in einem Interview zu teilen.
Steffen, du bist in der NAK aufgewachsen. Welche Erinnerungen hast du an deine Kindheit und Jugend in der Kirche?
Ich bin in einer gläubigen Familie aufgewachsen. Vor allem mein Vater lebte uns einen starken Glauben mit Liebe zu Gott vor, wie ich ihn selten bei einem Menschen gesehen habe. Ich glaube, heute würde er mehr verstehen, aber damals kannten wir noch niemanden, der uns mehr Wahrheit hätte zeigen können. Aus diesem Grund glaube ich bis heute, dass wir keinen falschen Gott angebetet haben, sondern einfach ein falsches Gottesverständnis hatten.
Ich habe immer versucht, nach dem göttlichen Willen zu leben, wie ich ihn verstand. Daher war ich bemüht, mich von weltlichen Strömungen fernzuhal- ten. Dies wurde natürlich von Familie und Kirche unterstützt. Zum Beispiel gab es nur in wenigen Familien einen Fernseher. Weltanschauliche Informationen entnahm man in der Regel den kirchlichen Veröffentlichungen wie der offiziellen Zeitschrift Unsere Familie. Sekundärliteratur galt als schädlich und wurde maximal zur Unterhaltung herangezogen. Ich hatte später den Eindruck, dass die Verbreitung des Fernsehens auch in der NAK eine Art Abflachung des Glaubens bewirkt hat.
Nach der Konfirmation mit 14 Jahren wurden Jugendliche in Chöre und in die „Weinbergarbeit“ (Mission von Haus zu Haus) eingebunden. Hier fand man Anschluss und Zusammenhalt. Allerdings wurde die Echtheit des Glaubens einer Person auch schon einmal angezweifelt, wenn diese nicht mitmachen wollte. Ich hatte immer viel Spaß an diesen Aktivitäten und empfand sie nicht als Zwang. Nebenbei setzte ich mich schon damals intensiv mit Glaubensinhalten auseinander. Wenn ich in einem Punkt Zweifel bekam, bat ich Gott um ein Zeichen und erhielt immer eine Antwort, sodass ich fest davon ausging, auf dem richtigen Weg zu sein. Ganz verstehe ich das bis heute nicht.
Wie ist die NAK aufgebaut, und hast du irgendeine Aufgabe gehabt?
Die höchste Autorität in der NAK hat der Stammapostel. Zusammen mit der sogenannten Bezirksapostelversammlung leitet er in der Regel auf Lebenszeit die weltweite Kirche. Er wird als Vermittler zwischen Gott und den Menschen angesehen und ist der Einzige, der den Willen Gottes offenbaren kann. So hat er hier auf Erden eine ähnliche Stellung wie Jesus, nur dass er natürlich nicht angebetet wird. Sein Wort kann nicht angefochten werden, und seine Lehren können unter Umständen auch über die Bibel hinaus gehen.
Weiter ist die NAK in Bezirken organisiert, die von den Bezirksaposteln und Aposteln (Teilbezirke) geleitet werden. Alle Apostel werden vom Stammapostel durch Handauflegung eingesetzt. In den Gemeinden haben sie fast alle Vollmachten, wie der Stammapostel für die weltweite Kirche. Sie berufen z. B. weitere Ämter (Bischöfe, Bezirksälteste, Evangelisten, Hirten, Priester, Diakone), die bis auf den Bischof alle ehrenamtlich arbeiten. Außerdem dürfen nur Apostel selbst Lehren formulieren, wobei man sich am Stammapostel orientiert. Und nur sie können im Namen Jesu Sünden vergeben und die Versiegelung vornehmen, während Priester die Sündenvergebung nur verkünden. Somit wird dem Apostolat eine heilsnotwendige Rolle zugesprochen. Eine theologische Ausbildung ist aus Sicht der Kirche dazu nicht notwendig, da der Heilige Geist unabhängig davon wirken kann.
Ich war in Tübingen der dienstälteste Priester. Als Verantwortlicher für die Leitung der Gottesdienste und des Seelenheils der örtlichen Gemeindemitglieder spendete ich die heiligen Sakramente der Taufe (auch Kinder) und des Abendmahls. Nur das dritte Sakrament der Versiegelung war an einen Apostel gebunden, denn nur durch sie wurde man zu einem erlösten Kind Gottes. Mit der Diakonie betreute ich jedes Gemeindeglied bei Kranken- und Hausbesuchen, die jedoch manchmal auch als Kontrolle verstanden wurden.
Uns interessiert besonders das sogenannte Entschlafenenwesen. Wie sieht diesbezüglich die Lehre der NAK aus?
Als Mitglied der NAK glaubt man, dass die Seele eines Menschen im Jenseits weiterlebt. Dabei sollen gläubig Verstorbene die anderen Seelen missionieren. Drei Mal im Jahr, in sogenannten Entschlafenengottesdiensten, werden die beiden höchsten Würdenträger der jeweiligen Kirche stellvertretend für die Verstorbenen getauft und versiegelt. Die im Jenseits gewonnenen Seelen können an diesen Gottesdiensten teilnehmen und dabei Erlösung finden, die nach der NAK nur durch die Sakramente möglich ist. Der Bezirksapostel nimmt dann jeden Sonntag in einer anderen Gemeinde stellvertretend für alle „anwesenden“ gläubigen verstorbenen Seelen das Abendmahl ein.
Wenn man davon ausgeht, dass Verstorbene weiter existieren und einem z. B. in diesen Gottesdiensten nahe sein können, werden diese dann in irgendeiner Form wahrgenommen, oder findet ein Kontakt statt?
Solche Begegnungen hatte nur die Minderheit. Vielen war der Gedanke, mit Verstorbenen Kontakt zu haben, eher unheimlich. In unserer Familie war dies dagegen nicht unüblich. Ab und zu kamen sogar ehemalige Gemeindeglieder, die gerade „heimgegangen“ waren, zu Besuch. Ich stellte das nie in Frage. Einmal besuchte uns zum Beispiel mein Großvater mütterlicherseits. Zu Lebzeiten ungläubig, berich- tete er nun, dass er auf unsere Fürbitte hin bekehrt worden sei. Während der Entschlafenengottesdienste selbst habe ich aber nie jemanden gesehen. Anders meine Tante; sie redete sogar mit ihnen. Jedoch gab es Situationen, in denen ich ihre Anwesenheit, wie ich glaubte, spüren konnte. Beispielsweise spürte ich einmal meinen Großvater väterlicherseits vor mir stehen. Er war zu Lebzeiten ein bekannter Priester gewesen. Er drückte mir einen Stab in die Hand. Ich wollte diesen zuerst gar nicht annehmen, bis ich von der Bühne meinen Namen und den Ruf zum Priester hörte. Dazu muss man wissen, dass in der NAK Amtsträger manchmal auch ohne vorherige Absprachen während der Bezirksapostelgottesdienste berufen werden können. Ich folgte dem Ruf, den ich als den Ruf Gottes verstand und fühlte mich von einer großen Kraft erfüllt.
Wie würdest du dir diese Begegnungen heute erklären?
Weißt du, diese Erfahrungen waren für mich real und mit meinen Sinnen wahrnehmbar. Es gab keinen Anlass, daran zu zweifeln. Heute weiß ich, dass es Satan war, der meinen Sinnen einen Streich spielte. Aber wenn mir damals jemand hätte sagen wollen, dass meine Wahrnehmung falsch ist und nicht von Gott kommt, hätte ich diesen Menschen für verrückt erklärt.
Letztendlich habe ich es mir von Ellen White erklären lassen (z. B. CKB Kap.11). Sie beschreibt, dass Satan in der Endzeit genau solche Mittel benutzt. Seine Dämonen treten dann als geliebte Verstorbene auf, um Gottes Botschaft zu verfälschen. Es ist nichts anderes als Spiritismus. Ein halbes Jahr lang habe ich dieses Thema und den Sabbat studiert, bis ich es verstanden hatte. Zu begreifen, dass die Bibel über der eigenen Wahrnehmung steht, ist kein leichter Schritt.
Wir als Adventisten glauben z. B. wegen Pred. 9,5, dass Tote nicht kommunizieren oder Entscheidungen treffen können. Wie ging man in der NAK mit diesem und ähnlichen Texten um?
Das Problem war, dass zwar die Wichtigkeit der Bibel betont wurde, der Einzelne aber selten ein intensives Bibelstudium betrieb. Zu Hause nutzte man die Bibel eher als An- dachtsbuch oder um etwas Bestimmtes nachzuschlagen. Man glaubte aber, dass die eigentliche Auslegung der Bibel nur von einem Apostel vorgenommen werden könne. Entsprechend wurde immer betont, dass alle Lehren biblisch fundiert seien. Der Einzelne durchlief dann im Laufe des Lebens Sonntagsschule, Religionsunterricht und nahm als Erwachsener jede Woche am Gottesdienst teil. Außerdem bekam er überall nur die Lehre der Kirche zu hören, die er auch nicht hinterfragte. Insofern kamen solche Fragen gar nicht erst auf.
Wenn nur Apostel die Bibel auslegen konnten, wie gingen dann Bischöfe und Priester mit der Bibel um?
Bischöfe und Priester hatten die Aufgabe, die Auslegungen des Stammapostels zu verkündigen. Dazu gab es jede Woche weltweit die gleichen, vorformulierten Leitgedanken für die Predigt. Damit wurde gewährleistet, dass jedes Mitglied immer die gleiche Botschaft hörte. Es war dann auch nicht so, dass derjenige, der sprach, eine Predigt ausgearbeitet hatte. Meist trat man mit den Leitgedanken aufs Podium und predigte spontan im Glauben, Gott würde einem die richtigen Worte schenken.
Gibt es noch etwas, das deiner Meinung nach wichtig zu wissen wäre?
Vielleicht noch eine Sache, um das Ganze im richtigen Licht zu sehen. Als Gläubiger der NAK wusste man durchaus um dämonische Kräfte. Wahrsagerei oder andere „offensichtlich“ satanischen Dinge waren Tabu und wurden gemieden. Zum Beispiel war mir immer klar, dass Saul falsch handelte, indem er Samuel anrief. Für mich bestand aber kein Zweifel daran, dass es Samuel selbst war, der antwortete. Das Entschlafenenwesen ordnete man dagegen gar nicht in dieser Ecke ein. Im Gegenteil, es stellte etwas Gutes dar, denn es offenbarte die Gnade Gottes für die unbekehrten Seelen und somit auch die eigene Hoffnung.
Vielen Dank, Steffen, für diese interessanten Einblicke.
Interview mit Steffen B. vom 26.2.2015, niedergeschrieben und etwas gekürzt von S.Q. .
Hintergründe zur Entstehung der NAK und der Lehre des Entschlafenenwesens
Die NAK geht auf die Erweckungsbewegung in England Anfang des 19. Jahrhunderts zurück, wo sich unter dem Prediger Edward Irving ab 1830 eine charismatische Gemeinde mit Endzeitausrichtung bildete. Bis 1835 wurden durch, wie man glaubte, prophetische Eingebung zwölf Apostel berufen, die die Christenheit für Jesu Wiederkunft vorbereiten wollten. Als jedoch 1855 drei der Apostel starben, spaltete sich in Deutschland eine Gruppe ab, die, entgegen der englischen Führung, Nachfolger ernannte. Aus dieser Strömung entwickelte sich nach vielen weiteren Brüchen und Konflikten die NAK, für die die vorangestellte Position des Stammapostels ab 1897 entscheidend war. Heute hat die Kirche nach eigener Darstellung (nak.de) ca. 10 Mio. Mitglieder, wovon 347.754 in Deutschland leben.
Neben der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage (Mormonen) ist die Neuapostolische Kirche die einzige christliche Kirche, die Verstorbenen Sakramente spendet. Die Praxis entstand aus der Frage heraus, ob ein totgeborenes Kind Erlösung finden könne. Man fand die Antwort in 1. Kor. 15,29, wo Paulus fragt: „Was werden sonst die tun, die sich für die Toten taufen lassen? Wenn überhaupt die Toten nicht auferweckt werden, warum lassen sie sich denn für sie taufen?“ Zusammen mit dem Verständnis, dass das Heil nur durch das Apostolat erlangt werden könne, kamen die Kirchenväter der NAK zu der Überzeugung, dass mit dem Ableben der letzten Apostel auch der Zugang zur Erlösung verschlossen worden sei und somit ca. 1800 Jahre lang kein Mensch erlöst werden konnte. Erst durch das Wiederaufeben des Apostelamtes sei dieser Weg wieder frei und könne nun auch durch die seither Verstorbenen erlangt werden. Dass gläubig Verstorbene missionarisch aktiv sein können, entnahm man zusätzlichen apokryphen Schriften. Folglich verstand man die Kirche als Gemeinschaft, die selbst vom Tod nicht zerstört werden könnte und die sowohl aus Lebenden als auch aus Toten bestand. Die Kommunikation mit Toten wurde dabei zwar nicht aktiv gesucht, aber auch nicht ausgeschlossen.
Wie gehen wir Adventisten mit dieser schwierigen Frage um?
Als Adventisten gehen wir davon aus, dass Paulus in 1. Kor. 15,29 auf einen Brauch anspielt, der sich aus einem falschen Heilsverständnis und Angst heraus gebildet hatte. Jene, die diesen Brauch praktizierten, glaubten jedoch nicht selbst an eine Auferstehung. Betrachtet man die Bibel im ganzen Zusammenhang, so muss man erkennen, dass nicht die Taufhandlung selbst die Rettung ausmacht, sondern die damit zusammenhängende Annahme des Opfers Jesu Christi (Eph. 2,4f.; Heb. 10,10). Durch das Geschenk der Taufe kann der Gläubige neu geboren werden (Titus 3,5). All diese Schritte kann ein Verstorbener, der nichts weiß (Pred.9,5) und somit auch keine Entscheidungen treffen kann, nicht durchlaufen. Auch wir halten die Taufe für einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Erlösung (Joh. 3,5), doch stellvertretende Handlungen sind vor Gott nicht nötig und möglich. Er ist weder auf einen Apostel noch auf sakramentale Handlungen angewiesen, um Menschen zu retten, die vielleicht nicht die Möglichkeit zu einer Entscheidung hatten. Das berühmteste Beispiel dafür ist der Schächer am Kreuz (Luk.23,43).
Die Lehre zum Entschlafenenwesen der NAK nimmt keine zentrale Rolle ein, kann aber als Beispiel dafür betrachtet werden, welche Konsequenzen bestimmte falsche Grundannahmen nach sich ziehen können. Im Fall der NAK ist es die Annahme, dass nur durch einen lebenden Apostel vollständige Erlösung erlangt werden könne. Die Konsequenz ist eine Lehre um Verstorbene, die gläubige Menschen dazu verführt, falsche Wahrheiten und Erfahrungen als gottgegeben anzunehmen, ohne dass es ihnen bewusst ist.
Die Bibel lehrt uns, wer der einzige Vermittler vor Gott ist: Jesus Christus (1. Tim. 2,5). Durch ihn erfahren wir die Vergebung unserer Sünden (Apg.13,38f.) und die Zusicherung, einst erlöst zu werden (1. Joh.5,13). Hieran wird deutlich, wie wichtig die Orientierung an Gottes Wort ist. Er selbst ruft uns auf: „Prüfet aber alles und das Gute behaltet“ (1. Thess. 5,21). Es kann vorkommen, dass das Lehrgebäude eines Menschen auf einem Irrtum aufgebaut ist, möge er noch so fromm und überzeugend sein. Daher hat Gott uns einen Prüfstein, sein Wort (Ps.119,105), und seine Führung durch seinen Geist zur Seite gestellt (Joh.14,16 .). Damit ausgerüstet müssen wir keine Angst vor Täuschungen haben, denn er verspricht: „Und sucht ihr mich, so werdet ihr mich nden“ (Jer. 29,13f.).