Leben
Geheime Schrankverstecke und verbotene Bibeln im Haar
Auf den Spuren der Hugenotten
Unter Einsatz ihres Lebens standen die Hugenotten im 16. Jahrhundert für ihren Glauben ein, nahmen dabei Verfolgung in ihrem katholischen Heimatland und sogar Folter in Kauf. Was die reformierten Christen sich einfallen ließen, um dem königlichen Schwert zu entkommen, und was wir von ihnen lernen können – davon berichtet Daniela Paterko, die bei einer Studienfahrt durch Südfrankreich Bewegendes über diese treuen Gläubigen herausfand.
Ich hatte schon von Hugenotten, Albigensern und Katharern gehört, doch was diese Männer und Frauen für ihren Glauben auf sich genommen haben, war mir bis letzten Sommer nicht bewusst gewesen. Auf der Studienfahrt mit Bernd Sengewald, die vom 1. bis 10. September in Südfrankreich stattfand, sind wir mit einer Gruppe von 28 Teilnehmern auf den Spuren dieser treuen Gläubigen gewandelt. Ich kann nur staunen, was passiert, wenn Menschen sich in allem auf Gott verlassen – auch wenn sie dem Tod direkt ins Auge blicken! So musste ich bei dieser Reise mehrfach beten: „Herr, bitte schenke mir die Kraft, dir mein Leben komplett zu überlassen und den Mut, das auch zu wollen!“
Schauplatz und Zentrum des Glaubenskampfes der Hugenotten stellten zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert die Cévennen dar – ein Gebirgszug im Hinterland von Montpellier mit waldigen Hügeln und tiefen Schluchten. Nach der Reformation nahmen in dieser Region viele den protestantischen Glauben an, auch ehemalige Waldenser. Die Hugenotten wurden hier wegen ihrer weißen Hemden auch „Kamisarden“, auf Französisch „Blusenmänner“, genannt und führten erbitterte Kämpfe gegen die Soldaten des Königs. Unter Ludwig XIV., dem Sonnenkönig, setzte nämlich eine intensive Verfolgung und Drangsalierung von Protestanten ein, um alle zwangsweise in die katholische Kirche zurückzuführen. Seine Politik führte zum Widerruf des Edikts von Nantes (ein Toleranzedikt von 1598, mit dem König Heinrich IV. den protestantischen Hugenotten religiöse Freiheiten eingeräumt hatte). Das wurde uns bei dem Besuch des Musée du Désert (Museum der Wüste) von unserer jungen Tourleiterin Elvie eindrücklich geschildert. Das 1910 gegründete Museum im Geburtshaus des Kamisardenführers Roland Laporte informiert über diese Zeit, in der Gottesdienste im Wald stattfanden und Menschen für ihren Glauben verfolgt wurden. Ich war erstaunt, dass eine junge Frau im Studentenalter sich für die Geschichte der Hugenotten interessierte und offenbar auch damit identifizierte.
Ein Leben für den Glauben
So zeigte sie uns zum Beispiel ein Schrankversteck, eingebettet im Fußboden, in dem Hugenotten, aber auch Juden im Zweiten Weltkrieg Unterschlupf fanden. Besonders beeindruckend waren die Ideen, die sich Personen einfallen ließen, um die Bibel – das verbotene Buch – zu lesen und zu verbreiten. Es gab eine Bibel, die so klein war, dass Frauen sie in ihrem Haarknoten verstecken konnten. Und auch hinter der großen Anzahl an Spiegeln im Museum verbargen sich geheime Fächer und Räumlichkeiten. Diesen Menschen war ihr Glaube und die Bibel so wichtig, dass sie alles dafür einsetzten. Fässer wurden zu Kanzeln umfunktioniert und bei Gefahr einfach wieder zurückverwandelt. Weil sie an Gott glaubten, wurden Menschen zu jahrelanger Galeerenstrafe verurteilt, mussten dabei angekettet auf Bänken die Ruder von Schiffen bedienen oder wurden gleich auf einem schrecklichen Streckrad gefoltert.
Galeerenstrafen wurden sonst vor allem bei Hochverrat oder Mord verhängt – warum also bei gläubigen Menschen, die „nur“ Gott dienen wollten? Und: Wie ließ sich so etwas überhaupt aushalten? Ein Festhalten am Glauben unter solchen Lebensbedingungen zeigt, wie tief das Vertrauen dieser Personen zu Gott war. In diesem Punkt kann man wohl nur dazulernen. Die Geschichte hat uns immer wieder gezeigt, wie Satan es schafft, Menschen so in Hass zu verstricken, dass sie völlig geblendet unfassbare Wege einschlagen. Ludwig XIV. war katholisch und sah sich als König von Gottes Gnaden an. Sein Ziel war es, die Einheit im katholischen Glauben unter allen Umständen wiederherzustellen. So begann er die Hugenotten zu schikanieren, indem er nur weiterführende katholische Schulen zuließ, Kinder entführte und „umerzog“, bestimmte Berufe untersagte (im Rechts- oder Gesundheitswesen, wie z. B. Hebammen), Heiratsvorschriften erließ und Soldaten in den Häusern der Hugenotten einnistete, um die Bewohner zu drangsalieren. Das ging sogar so weit, dass Sterbenskranke, die die Letzte Ölung ablehnten, aber wieder gesund wurden, mit ständigem Zuchthaus oder lebenslanger Galeerenstrafe rechnen mussten. Starb der Betreffende später, wurde sein Leichnam zum Müll geworfen und seine Güter beschlagnahmt. Viele Hugenotten wollten dieser Tortur entfliehen und konvertierten wieder zum Katholizismus. Ein sehr großer Teil wählte lieber das Exil, als dem eigenen Glauben untreu zu werden.
Das Erbe der Hugenotten
Auf unserer Rundreise bekamen wir weitere Orte zu sehen, wie etwa Avignon, Carcassonne, Katharerfestungen in den Pyrenäen oder den Turm der Beständigkeit, wo es Gläubigen so schlecht erging, dass viele ins Ausland flohen. Dadurch hat sich aber auch ihr Glaube weiterverbreitet bis nach Amerika, Afrika und Russland. Die Spuren der Hugenotten finden sich daher noch heute in Essgewohnheiten und Bezeichnungen. In Berlin sind zum Beispiel viele durch die Einwanderer geprägten Spezialitäten bekannt, so etwa Buletten, Weißbier und Spargel. Sprachlich hat sich die „Boutique“ (das Ladengeschäft) als „Budike“ oder der französische Begriff „pleurer“ (weinen) als „plärren“ eingebürgert. Auch „être peut-être“ (im Zweifel sein) setzte sich als „etepetete“ im Sprachgebrauch fest.
Der Einfluss der Hugenotten ist also immer noch spürbar. Und das nicht nur, weil sie 46 neue Berufe mitbrachten, darunter den Hutmacher, Seidenweber, Buchbinder, Maler, Emailleure, Weißgerber, Seifenhersteller, Tapezierer oder Pastetenbäcker. Auch Gelehrte und wohlhabende Kaufleute gaben der Wirtschaft starke Impulse: Ganze Gewerbe, wie die Seiden- und Samtproduktion, kamen so nach Brandenburg. 1689 waren es sogar Hugenotten, die die erste Seidenmanufaktur in Berlin gründeten.
Nachdem viele Menschen gefoltert, ermordet oder ausgewandert waren, sodass Frankreich Besitztümer, Vermögen und Fachwissen an das Ausland verlor, wurde König Ludwig XIV. von seinem Militärberater Marquis de Vauban schließlich dazu aufgefordert, das Edikt von Nantes wieder in Kraft zu setzen. Gott sei Dank hatte er erkannt: „Die Bekehrung der Herzen gebührt allein Gott.“
Vor dem Hintergrund, wie es den Hugenotten erging, kann ich Gott dankbar sein, dass er immer und überall auf sein Volk aufpasst. Was für ein Segen, dass ich meinen Glauben in Frieden und ohne Repressalien ausüben darf. Dennoch sollten wir nicht vergessen, für all diejenigen zu beten, denen es heute aufgrund ihres Glaubens womöglich genauso ergeht wie den Hugenotten damals. Mögen unsere Gebete sie tragen, damit sie weder Mut noch Kraft zum Durchhalten verlieren.