Brief an die Galater
Auf den Spuren der Galater
Paulus und die Gallier aus Baden-Württemberg
„Aber auch wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch ein Evangelium predigen würden, das anders ist, als wir es euch gepredigt haben, der sei verflucht. Wie wir eben gesagt haben, so sage ich abermals: wenn jemand euch ein Evangelium predigt, anders als ihr es empfangen habt, der sei verflucht.“ (Gal. 1,8-9)
Harte Worte von Paulus in seinem Brief an die Galater, die er bis dahin so noch nie verwendet hatte. Kein Wunder: Schließlich ging es hier um Leben oder Tod. Und die Gemeinde, an die er schrieb, bekam kein Lob von ihm zu hören. Doch wie war es überhaupt zum Tadel des Apostels gekommen? Ein Blick zurück in die Vergangenheit könnte Licht in die Situation der Gemeinde in Galatien bringen.
Alles begann in Baden-Württemberg
Die Geschichte der Galater beginnt im 5. Jahrhundert v. Chr., als Gallier in und rund um das Gebiet des heutigen Baden-Württemberg siedelten. So mancher wird sich nun wahrscheinlich wundern, da die Bezeichnung „Gallier“ in unserer Zeit (nicht zuletzt durch die Comic-Abenteuer von Asterix und Obelix) sofort mit dem Gebiet des heutigen Frankreich in Verbindung gebracht wird. Damals jedoch wurden als „Gallier“ übergreifend die keltischen Völker bezeichnet, die den geographischen Raum von Ostfrankreich bis etwa an die Grenze des heutigen Rumänien besiedelten1 (s. Karte). Wir befinden uns heute praktisch mitten im ehemaligen Kerngebiet der Kelten (auf Latein Celtae oder Galli; auf Griechisch Keltoi oder Galatai). Entsprechend zahlreich sind archäologische Funde und Ausgrabungen. Auch Fürstensitze und Hügelgräber zeugen von der frühen Keltenkultur; allein 6.700 Hügelgräber hatten Forscher bereits 1961 in Baden-Württemberg gezählt.2 Bekannte Fürstensitze der Kelten waren beispielsweise der Hohenasperg bei Ludwigsburg, die Heuneburg bei Sigmaringen3 oder der Ipf bei Bopfingen, in der Nähe von Aalen.4
Wanderung bis nach Kleinasien
Im Laufe der Zeit – keiner kann wirklich sagen, warum – begannen Teile der Keltenstämme zu wandern. Am 18. Juli 387 v. Chr. eroberten sie Rom und zerstörten die Stadt, wobei dieser Tag als „dies ater“ (der schwarze Tag) in die römische Geschichte einging. Nach siebenmonatiger Besetzung kauften sich die Römer für tausend Pfund Gold frei. Als es beim Abwiegen zu Meinungsverschiedenheiten kam, habe Brennus, so der Name des gallischen Anführers, sein Schwert noch als zusätzliches Gewicht in die Waagschale geworfen mit den Worten: „Vae victis!“ (Wehe den Besiegten!).
Seitdem führten die Römer immer wieder Krieg mit den Galliern.5 Diese stolzen und barbarischen Krieger6 hatten einen furchteinflösenden Ruf bei den römischen Soldaten, was nicht zuletzt an ihrer ungstümen Wildheit lag. Nicht selten als Söldner gut bezahlt, zogen manche gallischen Krieger nackt in die Schlacht7 und stürzten sich mit Gebrüll, das von Kriegstrompeten begleitet wurde, auf das gegnerische Heer. Ganz nach keltischer Manier schlugen sie ohne Angst vor Schmerzen oder Tod auf den Feind ein und nutzten dazu Schwerter oder Wurfspeere. Die bekannteste Darstellung eines nackten gallischen Kämpfers ist die „Statue des sterbenden Galliers“8 (Abb. 1). Auch wenn das Nacktsein wahrscheinlich eine spezielle Weihung einzelner für den Kampf darstellte9, hatte es die Römer anscheinend schwer beeindruckt.10
278 v. Chr. fielen gallische Stämme schließlich in Kleinasien ein.11 Dabei handelte es sich um die Teilstämme der Tolistoboger, der Tektosagen und der Trokmer, die vermutlich aus dem Donaugebiet stammten.12 Nicht lange danach ließen sie sich bei Ankyra, dem heutigen Ankara, nieder und gründeten das Königreich Galatien, wobei sie dort im Dauerkonflikt mit dem hellenistischen Reich von Pergamon standen.
Galatien wird römische Provinz
Genau wie in ihrer ursprünglichen Heimat (u.a. im heutigen Baden-Württemberg) hatten die Kelten auch in Galatien ihre Fürstensitze.13 Nach einer römischen Strafexpedition gegen die Gallier in Galatien im Jahre 189 v. Chr. wurden diese jedoch zerstört14 und die Gallier nach ihrer Niederlage zu treuen Anhängern Roms. 25 v. Chr. wird Galatien von Kaiser Augustus schließlich zur römischen Provinz ernannt.15
Auch die angrenzenden Gebiete Pisidien, Lykaonien, Pamphylien und Kilikia Tracheia gehörten zur Provinz „Galatia“. Ihre größte Ausdehnung erreichte sie 75 n. Chr. unter dem römischen Kaiser Vespasian. Danach wurde das Gebiet Stück für Stück verkleinert.16 Außer den keltischen Galliern und der vorher dort angesiedelten Mischbevölkerung lebten in Galatien unter anderem Griechen, Römer und Perser.17
Praktisch alle Landwege von Armenien bis zum westlichen Kleinasien führten über Galatien.18 Dabei waren Güter wie etwa die Wolle galatischer Schafe über die Grenzen der Provinz hinaus weltweit bekannt.19 Weiter im Norden wurde Weinanbau betrieben, und es gab Obstgärten, Ölbäume und Getreide. Gerade die Gerste aus diesem Gebiet soll besonders weiß und schwer gewesen sein.20 Auch der Salzabbau, den die Gallier schon aus ihrer Heimat kannten (z.B. Schwäbisch Hall, Heilbronn, Bad Cannstatt, Waiblingen)21, wurde in Galatien praktiziert.
Paulus predigt in Galatien
Etwa ab 45 n. Chr. bereiste ein Mann namens Paulus das Gebiet der römischen Provinz Galatien22 und predigte etwas, das für die Bewohner dieser Region höchst wundersam klang. Manche fanden daran Anstoß, andere aber nahmen es gerne an und gründeten in diesem Gebiet die ersten Gemeinden (Apg. 13,14-14,23; 16,1-6; 18,23).
Bald darauf kamen jedoch judaisierende Lehrer nach Galatien, die zwar den Glauben an Jesus Christus angenommen hatten, aber gleichzeitig das jüdische Konzept der Werksgerechtigkeit in Zusammenhang mit dem Gesetz predigten. Ein Mensch, so argumentierten sie, könne sich selbst durch ausdauerndes Einhalten der vorgegebenen Bestimmungen retten (Gal. 1,7; 3,1-3; 5,4; 6,12-13).23
Für die Galater, die über einen langen Zeitraum hinweg Eigenheiten der keltischen Kultur beibehalten und heidnische Kulte wie den Opferdienst für fremde Götter übernommen hatten, schien das ein ganz logisches Konzept zu sein. Ein in Kleinasien weit verbreiteter Götterkult, den die Gallier nach ihrer Ansiedelung übernahmen, war zum Beispiel der Kult der Kybele, bei dem die Priester kastriert sein mussten. Viele Galater dienten diesem Kult sogar als Hohepriester, und hatten mit dieser Position sehr viel Einfluss auf das politische Geschehen in der Region.24 Wahrscheinlich schrieb Paulus deshalb in Gal. 5,12: „Sollen sie sich doch gleich kastrieren lassen, die euch aufhetzen!“
So begann Paulus um die Gemeinden im asiatischen Galatien zu fürchten. Er dachte schon, er hätte umsonst an ihnen gearbeitet: „O ihr unverständigen Gallier!“ (Gal. 3,1), rief er in seinem Brief aus, den er im Winter 57/58 n. Chr. an sie schrieb.25
Statt Lob konnten die Galater in diesem Brief lediglich ernst gemeinte Warnungen lesen. „Niemand wird durch das Befolgen des Gesetzes vor Gott gerecht!“, schrieb der Apostel ihnen (Gal. 2,16 NLB). Schon Abraham und Sarah hätten es damals auf menschliche Weise versucht, als die Verheißung, einen Sohn zu bekommen, lange ausblieb. Jedoch sei es nicht Hagar – d.h. der menschliche Versuch, die Verheißung zu erfüllen –, sondern Sarah gewesen, an der Gott sein Versprechen, Abraham einen Sohn zu schenken, erfüllt hätte (Gal. 4,27-31).
Leben im Geist
An vielen Stellen, an denen Paulus in seinen Briefen „Gesetz“ verwendet, lässt sich auch der Begriff „Werksgerechtigkeit“ einsetzen (z.B. Römer 10,4). Und schon fällt es dem Leser leichter, zu verstehen, dass Paulus nicht das Gesetz an sich ablehnt, sondern den Versuch, durch eigene Werke vor Gott gerecht zu werden. 26
Es liegt wohl in unserer menschlichen Natur, dass wir gerne durch eigenes Bemühen rein vor Gott dastehen möchten. Vielleicht hat schon der eine oder andere von uns damit Erfahrungen gemacht, ist daran verzweifelt und hat es doch immer wieder versucht. Lasst uns daran denken, dass schon viele Menschen durch alle Zeitalter hindurch diesen Versuch gestartet haben. Gottes Gerechtigkeit ist jedoch nichts, was wir uns verdienen könnten. Sie ist und bleibt sein Geschenk an uns.
Was Paulus den Galatern empfiehlt, ist ein Leben im Geist. Das bedeutet, dass Jesus Christus im Menschen lebt (Joh. 14,16-26; 15,1-11; Gal. 1,15-16), was sich wiederum in Früchten zeigt (Joh. 15,5). Paulus fordert die Galater auf, den Geist zu empfangen und in ihm zu leben (3,2-3.14; 5,16-25)! Auch wenn sich das ewige Leben nicht durch Werke verdienen lässt, gibt es ohne eine Übergabe an Christus und ohne das Wirken des Heiligen Geistes keine Gemeinschaft mit Jesus, die letzten Endes zum ewigen Leben mit ihm führt.
Die Botschaft bringt Frucht
Der weitere Verlauf der Geschichte zeigt, dass die Gemeindeglieder Galatiens den Rat des Apostels Paulus anscheinend ernst nahmen. So ermahnte Kaiser Julian (361-363 n. Chr.) die Anhänger des alten Götterglaubens in einem Brief an den heidnischen Oberpriester der Provinz Galatien, die Christen in ihren sozialen Tätigkeiten nachzuahmen. Denn es sei schmachvoll, so Julian, dass die gottlosen Galiläer (Christen) die Heiden genauso unterstützten wie ihre eigenen Leute, weil bedürftige Anhänger des Götterglaubens von der eigenen Seite keine Hilfe erhielten.27
Der römische Kaiser hatte erkannt, dass die Fürsorge der Christen für die Armen und Notleidenden ihren Glauben so überzeugend machte. Ist das nicht ein gewaltiges Lob an die Gemeindeglieder Galatiens? Wenn wir diesem heidnischen Kaiser glauben, der das Christentum hasste, dann haben die Galater den Kampf des Glaubens gewonnen. In Verbindung mit Christus zeigte ihr Leben durch den Heiligen Geist solche Früchte, dass sogar jemand wie Kaiser Julian das anerkennen musste.
Die Galater hatten über die Jahrhunderte eine lange Reise zurückgelegt: Von dem Gebiet, in dem wir uns heute als Baden-Württemberger befinden, waren gallische Stämme bis nach Kleinasien vorgedrungen. Dort empfingen sie von Paulus das Evangelium und gewannen den harten – diesmal vor allem inneren – Kampf des Glaubens. Nachdem im Jahr 400 n. Chr. der Kirchenvater Hieronymus bezeugt hatte, dass es in Galatien Keltisch sprechende Völker gibt, deren Sprache den Treverern (keltischer Volksstamm bei Trier) ähnelt28, kehrten galatische Missionare in das Gebiet des heutigen Deutschland zurück, um „mit Vorliebe (...) den dort Keltisch sprechenden Menschen das Evangelium zu verkünden“.29
Ausflug in die biblische Geschichte
Die biblischen Berichte über die Geschehnisse in Galatien rücken näher, wenn man die historischen Ereignisse an seinem inneren Auge vorbeiziehen lässt und dabei möglicherweise einen Ausflug zu einem der ehemaligen keltischen Fürstensitze unternimmt.
Wohnt jemand weiter im Süden von Baden-Württemberg, so kann er das Freilichtmuseum auf der Heuneburg (www.heuneburg.de) besuchen und dort die im Artikel angegebenen Abschnitte aus der Apostelgeschichte lesen. Auch im Nordwesten Baden-Württembergs lohnt sich ein Ausflug zum Hohenasperg, wo gleich nach dem Aufstieg durch das Löwentor Ausstellungstafeln über den keltischen Fürstensitz informieren. Nach einer halben Runde um den Berg herum können Besucher, Richtung Süden schauend, über das Hügelgrab des Kleinaspergle hinwegblicken. Auch das Keltenmuseum in Hochdorf an der Enz (ca. 15 min entfernt) bietet eine gute Gelegenheit, die Kultur der Heiden, denen Paulus in Kleinasien begegnete, näher kennenzulernen (www.keltenmuseum.de). Im Nordosten von Baden-Württemberg lädt die ehemalige Höhensiedlung auf dem Ipf bei Bopfingen in der Nähe von Aalen dazu ein, das dortige Grabhügelfeld zu bestaunen.
Weitere Informationen finden Interessierte in dem Führer Archäologische Denkmäler in Baden-Württemberg von S. Stelzle-Hüglin, M. Strobel und A. Thiel (Landesdenkmalamt Baden-Württemberg) sowie in dem Buch Die Kelten von D. Ade und A. Willmy (Theiss-Verlag).30
Quellen:
1 G. Bolay, A. Krüger, F. O. Müller, H. Paul: Kelten am Hohenasperg, Keltenfürst-Verlag Asperg, 2010; S. 18-19; 2 Jörg Biel: Der Keltenfürst von Hochdorf, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart, 1985; S. 17; 3 Bolay; S. 18-19. 31-33; 4 Dorothee Ade und Andreas Willmy: Die Kelten, Theiss-Verlag, 2. Aufl., Stuttgart 2012; S. 31; 5 Ebd. S. 44; s.a.: Rainer Vollkommer: Das römische Weltreich, Theiss-Verlag, Stuttgart 2008; S. 25; 6 Ilsemarie Walter: Die römische Provinz Galatien, Grin 1999/2000, Online-Ausgabe; S. 3; 7 Ade und Willmy; 45+53; 8 Ebd. S. 53; s. z.B.: http://www.aviewoncities.com/de/rom/kapitolinischemuseen; Die Statue wurde geschaffen anlässlich des Sieges Attalos I. von Pergamon 235 v. Chr. über die Gallier.; 9 Ade und Willmy; S. 91; 10 Ebd. S. 89; 11 Ade und Willmy; S. 48. Ein Beispiel dafür sind die Kämpfe gegen die Kimbern und Teutonen zwischen 105-102 v. Chr., denn sie unterschieden zu dieser Zeit noch nicht zwischen Kelten und Germanen; Vollkommer, S. 57; Ade und Willmy, S. 61-62; Ernst Künzl: Die Germanen, Theiss-Verlag, 3. Auflage, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 2015, S. 18-23; Vollkommer, S. 53-57; 12 Ade und Willmy, S. 49; ABC, Bd. 6; S. 931; 13 Walter; Einleitung; 14 Ebd. S. 4; 15 Ebd. S. 2; 16 Walter; S. 6; 17 Bolay, Krüger, Müller, Paul; S.10; 18 Ebd. S. 7; 19 Ebd. S. 8; 20 Ebd. S. 8; 21 Bolay, Krüger, Müller, Paul; S. 160-162; 22 ABC, Bd. 6; S. 931; 23 Ebd. S. 949, Kommentar zu Gal. 2,16; 24 Murat Arslan: Galater – Die vergessenen Kelten; via verbis Verlag; Scheidegg 2004; S. 165-170; ABC, Bd. 6; S. 979; Kommentar zu Gal. 5,12; 25 Ebd. S. 932; 26 Ebd. S. 597, Kommentar zu Römer 10,4; 27 Walter; S. 11; 28 Ade und Willmy; S. 69; 29 Walter; S. 11; 30 In Bezug auf: Tatsächlicher Wissensstand vs. Mythos, s. z.B. auch Bernhard Maier: Die Druiden; Verlag C. H. Beck; München 2009