Glaube
Gott der Liebe und des … Zorns?!
Die Bibel erwähnt hunderte Stellen, in denen es um den Zorn Gottes geht: vom Zorn über den Ungehorsam Israels über Jesu Zorn bis zur Vollendung des Zornes Gottes in der Endzeit (Ex 32; Mk 3,5; Offb 15,1) – gesprochen wird über diese jedoch ungern. Weshalb? Ist die Vorstellung eines zornigen Gottes vor-christlich oder sogar heidnisch und sollten wir diese Vorstellung lieber zugunsten von Gnade und Liebe aufgeben, da sie im Widerspruch stehen? Die (kurze) Antwort lautet: Nein, im Gegenteil.
Welche Bilder entstehen bei dir, wenn du vom „Zorn Gottes“ liest? Siehst du vielleicht Gott mit feuerrot glühenden Augen vor dir, einem Blitz in der einen Hand, die andere zielend auf Menschen gerichtet – der Moment, bevor er vergeltende Rache übt? Keiner ist gerne dem Zorn anderer ausgesetzt, schon gar nicht dem Zorn Gottes! Daher kann ich gut verstehen, dass vielen bei dem Thema unwohl wird. Dazu kommt noch, dass die Bibel uns ein Bild von einem liebenden Gott malt – und mal ehrlich, wann hast du das letzte Mal eine Predigt über den Zorn Gottes gehört? Womöglich ist die Idee, Gott könne zornig werden, mit den biblischen Lehren einfach unvereinbar ... und gehört ins Mittelalter. Aber was erfahren wir aus der Bibel tatsächlich über den Zorn Gottes?
Sowohl die Propheten des Alten Testaments als auch Jesus selbst sowie die Apostel des Neuen Testaments sprechen offen über den Zorn Gottes. Von den vielen Dingen, die wir daraus lernen können, möchte ich vier herausgreifen:
1. Göttlicher Zorn entspricht nicht menschlichem Zorn:
Gleich als erstes sollte uns klar werden, dass Gottes Zorn nicht vor dem Hintergrund von menschlichem Ärger verstanden werden darf. Wir können nicht unsere von Sünde verdorbenen Gefühlswallungen auf Gottes vollkommene Attribute übertragen. Genauso wie seine Liebe anders ist als unsere unvollkommene Liebe, so ist sein Zorn anders – frei von sündigen Einflüssen. Obwohl als berechtigt dargestellt, betont die Bibel mehrfach, dass Gott „langsam zum Zorn und groß an Güte ist“ (Neh 9,17; Joel 2,13; Jona 4,2; Nah 1,3). Während unser Zorn Ausdruck von irrationalen und schädigenden Absichten ist, hat sein Zorn Heilung und Wiederherstellung zum Ziel (Offb 20,12-21,1).
Besonders deutlich wird dieser Unterschied im Leben Jesu: Ihre Wut/ihr Ärger trieb die Pharisäer zu ungerechten, egoistischen und zerstörerischen Handlungen an, die nur Scherben hinterließen. Jesu Zorn jedoch (s. Tempelreinigungen in Mt 21,12-13; Joh 2,13-22) stellte Verhältnisse richtig und wieder her. Dadurch ermöglichte er vielen Gläubigen, Gott im Tempel erneut zu begegnen. Ein ähnliches Muster ist auch im Fall des wiederherstellenden Gerichts nach Jesu Wiederkunft zu erkennen, das übrigens am häufigsten in Verbindung mit Gottes Zorn gebracht wird („Tag des Zorns“). Anders als bei uns, ist sein Zorn nicht ungerecht, egoistisch und zerstörerisch, sondern stellt Verhältnisse richtig, die die Sünde zerstört hat. Gottes Zorn hinterlässt also nicht Scherben, sondern Gerechtigkeit und Reinheit durch den Abschluss des Erlösungsplans.
2. Gottes Zorn als Reaktion auf Sünde:
Gottes Zorn ist nicht irrational und hat immer einen Grund, der ihn provoziert (z.B. 5. Mo 9,8). Genauer gesagt, ist sein Zorn im Kern die Reaktion auf Sünde. Da uns Sünde in „Feindschaft“ mit Gott gebracht hat, sind wir von Natur aus und berechtigterweise seinem Zorn ausgeliefert – oder wie Paulus es beschreibt „Kinder des Zorns“ (Rö 1,18; Eph 2,3). Dennoch gilt nicht das Prinzip „Zorn oder Liebe“, denn Paulus unterstreicht, dass Gott sich mit uns versöhnte, „als wir noch Feinde waren“ (Rö 5,10) – sprich: als wir seinen Zorn verdienten und noch Objekte seines Zorns waren. Dadurch ist sein Zorn vorübergehend, seine Liebe aber dauerhaft (Psalm 30,5; Jes. 48,9; 54,8) ... selbst während wir „Kinder des Zorns“ waren.
3. Gottes Zorn als Ausdruck seiner Herrschaft:
Wäre Gott gerecht, wenn er nicht auf das Böse reagieren würde? Was wäre er, wenn er nicht seine Abscheu der Sünde gegenüber zum Ausdruck bringen könnte? Wir als Geschöpfe sprechen ihm, dem Schöpfer, das Recht ab, seinen Lebensatem wieder zurückzunehmen und so unser Dasein aktiv zu beenden, wenn wir unsere von ihm geschenkte Freiheit missbrauchen. Es macht Gott unglaublich klein, wenn er als jemand dargestellt wird, der aufgrund seiner Liebe nicht angemessen auf Ungerechtigkeit reagieren darf – sein heiliger Zorn ist durchaus angebracht und unterstreicht gleichzeitig seine Herrschaft.
4. Gottes Zorn unterstreicht den Wert der Erlösung:
Sein Zorn offenbart Gottes zutiefst mitfühlende Seite. Er nimmt Sünder ernst und ignoriert uns selbst in unserer Rebellion nicht. Gott hätte schon viel früher seinem gerechten Zorn „unvermischt“ (Offb 14,10) Ausdruck geben können, aber wie Petrus hervorhebt, ist Gott geduldig und will, dass möglichst viele zu ihm zurückkommen (2. Pet 3,9). Wir sind ihm so wichtig, dass er nicht einfach aufgibt. Es verdeutlicht seine Bereitschaft, mit uns in Kontakt zu treten, um uns die Abscheulichkeit der Sünde, aber auch den Ausweg zu zeigen. Die Erlösung durch Christus, die uns durch seinen Tod vor seinem Zorn rettet (Rö 5,9), zeigt, wie ernst das Problem unserer Sünde ist. Gleichzeitig offenbart sie die Tiefe seiner Liebe; trotz des berechtigten Zornes, den wir absolut verdienten, war seine Liebe größer. Ist das nicht phänomenal erstaunlich?
Die genannten Beispiele zeigen, dass Gottes Zorn und seine Liebe nicht inkompatibel sind. Sein Zorn, der so ganz anders ist als unsere beschädigten und entstellten Gefühlsregungen, ist Ausdruck davon, dass es Gott sehr wohl kümmert, was hier passiert. Er ist Ausdruck seiner Souveränität und Entschlossenheit, angemessen gegen Sünde vorzugehen ... und gerade das schließt seine gnädige Erlösung mit ein! Der Zorn Gottes ist kein peinliches Thema, das wir umgehen sollten. Vielmehr offenbart er die Abscheulichkeit der Sünde und die Größe seiner Liebe.