„Herr, sprich zu meinem Herzen!“

Interview
„Herr, sprich zu meinem Herzen!“

Interview mit EUD-Präsident Mario Brito

Bruder Brito, als Präsident unserer Intereuropäischen Division bist du viel unterwegs. Wie hältst du bei so einem vollgepackten Terminkalender dein geistliches Leben lebendig? Gibt es etwas, das für dich besonders wichtig geworden ist?

Als ich vor vielen Jahren Adventist wurde, verbrachte ich nicht wirklich viel Zeit damit, die Bibel zu lesen – meistens einige Minuten am Morgen und am Abend. Doch als ich anfing, Theologie zu studieren, wurde mir klar, dass mein Studium mir nicht das geben konnte, was meine Seele brauchte. Ich brauchte meine persönliche Andachtszeit mit Gott – und ich fing an, mir mehr Zeit dafür zu nehmen. Als ich schließlich Pastor wurde, begann ich den Tag damit, die Bibel zu lesen, den Geist der Weissagung zu studieren und darüber zu beten. Seitdem ist meine Zeit mit Gott auf durchschnittlich eineinhalb bis zwei Stunden am Morgen gewachsen. Natürlich geht das aufgrund von Umständen – wenn man zum Beispiel im Flugzeug unterwegs ist – nicht immer; dann bleibt es bei einer halben Stunde. Doch auch als ich meinen Masterabschluss an der Andrews Universität gemacht habe und wirklich viel zu lernen hatte, versuchte ich, jeden Tag zuerst Zeit mit Gott zu verbringen. Und so halte ich mein geistliches Leben lebendig. Ich kann dir sagen: Wenn ich zwei oder drei Tage lang meine Beziehung zu Gott vernachlässige, merke ich, wie meine Stimmung sich ändert. Ich bin viel ungeduldiger... und irgendwie unzufrieden. Ich merke, dass etwas fehlt. Das kann auch meine Frau bestätigen (lächelt). Sie weiß: Wenn ich nicht so viel Zeit mit Gott verbringe, dann bin ich viel gestresster.

Ich habe mittlerweile gelernt: Je mehr Probleme es gibt, desto mehr brauche ich die Zeit mit Gott – wirklich! Bei meiner Arbeit als Divisionsvorsteher kommt es vor, dass man heikle Situationen bewältigen muss. Und dabei fühlt man sich nicht selten allein, besonders wenn es um schwierige Entscheidungen geht. Nur Gott kann Weisheit geben und zeigen, welcher Weg der richtige ist. Du musst Entscheidungen treffen, die hart sind. Aber wenn du der Überzeugung bist, dass sie von Gott kommen, dann verspürst du einen tiefen inneren Frieden und weißt: „Der Herr wird sich darum kümmern.“ Doch das brauche ich jeden Tag! Ich kann sonst nicht überleben ... ich habe keine eigenen Reserven! Ich merke, wie meine Stärke von oben kommt – jeden Tag aufs Neue. Dafür lobe ich den Herrn! Und weil ich in guter Verfassung sein will, versuche ich abends nicht zu spät zu essen, um am Morgen klarer denken und die Gegenwart Gottes besser wahrnehmen zu können. Ich habe bisher nichts anderes auf dieser Welt gefunden, das mir so viel Freude und Frieden gibt, als diese enge Verbindung zu Gott. 
 
Manchmal lesen wir die Bibel ja eher mit einer theologischen als mit einer praktischen Brille. Wie können wir Gottes Wort so lesen, dass es in unserem Leben lebendig wird?

Ich glaube, wir sollten Gott jedes Mal bei unserer Andacht bitten: „Herr, ich möchte deine Stimme hören. Sprich zu meinem Herzen.“ Und: Lies die Texte, als wenn sie die Gottes Worte an dich persönlich wären! Nimm den Text, wie er ist. Und lies nicht zu schnell drüber. An manchen Tagen, wenn ich meine Andacht mache – das klingt vielleicht seltsam –, kann ich mich eine Stunde mit demselben Abschnitt beschäftigen und tauche immer tiefer und tiefer hinein. Gutes Essen genießt man, und man kaut und verdaut es. Versetze dich in die Personen hinein, die damals gelebt haben und die in der Geschichte vorkommen. Stell dir die Ereignisse vor, als würdest du sie selbst miterleben. Denke nicht: „Das ist an die bösen Pharisäer gerichtet.“ Frage dich, ob nicht vielleicht du manchmal der Pharisäer bist.

Weißt du, vor ein paar Jahren habe ich angefangen, darum zu beten, dass der Heilige Geist mir zeigt, was sich in meinem Leben ändern muss. Ich betete zu Gott: „Ich möchte dich wirklich besser kennenlernen. Zeig mir die Dinge, die nicht in Ordnung sind“. Und das Seltsame war, dass Gott anfing mir zu zeigen, dass ich zuvorkommender gegenüber meiner Frau sein könnte – sogar bei Dingen, um die sie mich nicht bittet, da sie weiß, dass ich viel zu tun habe. Manchmal ist man so gestresst, ohne dass man es wirklich merkt, und dann überträgt man den Stress auf die eigene Familie. Wir müssen auf solche Dinge achten. Doch nur der Heilige Geist kann sie uns zeigen – wir sind uns gegenüber blind. Nur wenn wir zu Gott kommen und ihn bitten, dass er unser Herz anspricht und uns erfüllt, werden Veränderungen eintreten.

Als Gläubige sprechen wir oft davon, in Christus zu wachsen und ihm ähnlicher zu werden. Wie sieht das in deinem Leben konkret aus?

Ich glaube, wenn wir in Christus wachsen wollen, müssen wir zu ihm kommen und ihm sagen, dass wir das möchten. Das sage ich deshalb, da ich kurz nach meiner Bekehrung vieles aus eigener Kraft schaffen wollte. Ich hatte das Gefühl, ich muss dies und jenes machen – ich hatte eine ganze Liste an „To Do’s“! Und ich muss zugeben, dass es aufgrund dieser Liste am Anfang sehr schwer für mich war. Ich erinnere mich an meine Zeit als Buchevangelist während des Studiums. Es war mein zweites Jahr in Spanien (ich komme ursprünglich aus Portugal): Ich musste eine gewisse Summe beim Verkauf der Bücher einnehmen. Nach der Hälfte meiner Ferien war allerdings erst ein Zehntel zusammengekommen. Ich hätte also dem Verlag noch Geld aus eigener Tasche dazuzahlen müssen. Das war eine harte Zeit für mich. Es graute mir davor, nach Hause zu gehen, denn dann hätte mein Vater (der mit der Gemeinde nichts zu tun hatte) geschimpft: „Siehst du, ich hab’s dir doch gesagt!“ Und dann wäre es vorbei gewesen mit meinem Theologiestudium.

In meiner Verzweiflung ging ich deshalb eines Tages auf die Knie und bat: „Herr, du musst mir helfen.“ Und Gott antwortete auf mein Gebet. In den letzten Monaten als Buchevangelist nahm ich sogar mehr ein, als nötig war. Als ich in dieser Krise steckte, las ich einen Abschnitt aus Schritte zu Jesus, wo es sinngemäß heißt: Gott nutzt die Schwierigkeiten, die wir erleben, damit wir wachsen. Deshalb sollten wir nicht entmutigt sein. Seit diesem Tag nahm ich mir vor: „Ich werde keine Angst mehr vor irgendetwas haben, denn Gott wird sich darum kümmern“. 
 
Aus dieser Erfahrung heraus bin ich zu dem Schluss gekommen, dass wir uns fragen sollten: „Ist Gott derjenige, der mir Kraft gibt und mein Leben mit Freude und Liebe füllt?“ Versuche bloß nicht, irgendetwas aus eigener Kraft zu schaffen! Bitte Gott um das, was du brauchst, und er wird es dir zur rechten Zeit geben. Auch wenn du mit einer Sünde kämpfst, versuche nicht, selbst dagegen anzukommen. Du wirst entmutigt sein und immer wieder in die Falle tappen; mit jedem Mal wird es schwieriger sein, standhaft zu bleiben. Konzentriere dich auf Christus und bitte ihn, dass er dir hilft, der Versuchung zu widerstehen.

Vielleicht kann ich noch eine Erfahrung mit dir teilen, die ich nicht zu erzählen geplant hatte. Vor ungefähr sieben Jahren durchlebte ich eine schwere Zeit. Mitten in ihrem Medizinstudium wurde meine 28-jährige Tochter Estella auf einmal ernstlich krankWie man erst sehr viel später herausfand, hatte sie sich einen Virus eingefangen, durch den sich ihr Magen entzündete, sodass ihre Verdauung gestört war. Egal in welches Krankenhaus sie kam – die Ärzte konnten nicht sagen, warum der Magen nicht richtig funktionierte. Sie konnten ihr nicht helfen, und so verlor sie weiter an Gewicht. Ich musste dabei zusehen, wie es ihr immer schlechter ging. Irgendwann wog sie nur noch 34 Kilogramm ... sie lag praktisch im Sterben und war auch bereit dazu ... Unsere Familie war sich sicher, sie würde bald sterben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Gott meine Gebete immer recht schnell erhört, wenn ich meine Sorgen vor ihn brachte. Aber bei der Krankheit meiner Tochter dauerte es sehr lange, bis Gott antwortete. Ich begann den Herrn zu fragen: „Herr, warum? Was mache ich falsch? Was stimmt nicht in unserer Beziehung?“

Nach einer gewissen Zeit wurde mir klar, dass Gott wirkte und sich um die Situation kümmerte. Was ich damit sagen will: Gott kennenzulernen bedeutet manchmal, dass man auch durch eine Wüste gehen muss. Und manchmal kommen die Antworten nicht so schnell. Meine Tochter hätte sterben können; und wenn sie gestorben wäre, hätte ich das akzeptiert, denn unsere erste Tochter starb als Baby, und der Herr gab uns die Kraft, es anzunehmen. Natürlich haben wir um unser Kind getrauert, aber ich hatte keine Fragen offen – ich akzeptierte es, und Gott gab uns die Kraft, diese Zeit durchzustehen. Doch bei meiner zweiten Tochter begann ich Gott nach dem „Warum“ zu fragen ... Gott kennenzulernen bedeutet durch verschiedene Arten von Leid und Problemen zu gehen. Das habe ich selbst erlebt. Die Erfahrung mit meiner Tochter Estella war schwer – aber wenn du sie überstanden hast, merkst du, dass du Gott noch ein Stück näher gekommen bist. Manchmal wird Gott nicht so antworten, wie du es gerne hättest. Wenn du Gott wirklich kennenlernen willst, musst du darauf gefasst sein, dass du Herausforderungen begegnen wirst. Und du musst ihm vertrauen, egal was passiert, dass er dein liebender Vater ist und dass er dich nicht aufgeben oder verlassen wird. Ich bin überzeugt: Auch wenn du nicht alle Antworten und Erklärungen hast, sei geduldig – du wirst sie bekommen, früher oder später.

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