Spieglein, Spieglein an der Wand …

Gemeinde
Spieglein, Spieglein an der Wand …

Eine Gemeinde hinterfragt sich und ihren Gottesdienst

Ein Blick in den Spiegel ist manchmal unangenehm, in einigen Fällen sogar schmerzhaft. Gleichzeitig bringt er aber auch Wahrheiten ans Licht, die zu Veränderungen anspornen können. Die Gemeinde Holzhausen hat diesen Schritt gewagt und Elemente des eigenen Gottesdienstes kritisch hinterfragt. Dabei durfte sie feststellen, wie heilsam ein Blick in den Spiegel sein kann.

Zwei Besucherinnen betraten zum ersten Mal eine Adventgemeinde. Da der Gottesdienst schon begonnen hatte, trauten sie sich nicht, den Saal zu betreten, bis zufällig jemand aus einem Nebenraum kam. Leider wurden ihre Fragen während des Bibelgesprächs abgebügelt, nach dem Motto: Das wissen wir ja, das ist der Papst, das ist Amerika, das ist der Protestantismus usw. Die beiden verließen den Gottesdienst gleich nach dem Bibelgespräch ...

Leider ist diese Begebenheit kein Einzelfall. Auch in unserer Gemeinde gab es eine ähnliche Situation. Eine Besucherin, die regelmäßig zum Gottesdienst kam, brachte ihren Mann mit. An jenem Tag ging es im Bibelgespräch hoch her (gelinde gesagt). Beide kamen danach nie wieder ...

Die Adventgemeinde Holzhausen ist eine kleine Gemeinde mit etwa 25 Mitgliedern und zwölf Kindern unter zehn Jahren. Als Folge diverser Probleme, von denen ich einige beschrieben habe, war der aktive Gliederstand seit 2000 sogar von fast vierzig auf zwanzig gefallen. Einige Gemeindeglieder kommen aufgrund der wenig erbaulichen Atmosphäre im Bibelgespräch erst zum Predigtgottesdienst. Acht Jugendliche haben unserer Gemeinde, bzw. der Freikirche allgemein, faktisch den Rücken gekehrt. Durch den Zuzug von Geschwistern hatte sich der Trend nach einiger Zeit etwas gedreht, doch Jugendliche gibt es nach wie vor keine. Die Altersgruppe zwischen vierzig und sechzig Jahren ist kaum vertreten.

Ärmel hoch und Spiegel her

Manchmal sind es Äußerlichkeiten oder Rahmenbedingungen, die entweder abstoßend wirken oder aber eine positive Atmosphäre schaffen können. So entschieden wir uns, mit der gesamten Gemeinde einen Workshop durchzuführen, in dem es um folgende Frage gehen sollte: „Wie werden unsere Gottesdienste für alle Besucher anziehend – auch und gerade für langjährige Gemeindeglieder?“

Durch ein Kuchenbuffet zusätzlich motiviert, engagierte sich fast die ganze Gemeinde lebhaft an jenem Nachmittag und notierte nach einer einführenden Andacht und einigen Hinweisen Positives und Verbesserungswürdiges auf bunten Karten: Was für gut befunden wurde, bekam die Farbe blau oder grün. Weiß stand für „neutral“, gelb für „bedenklich“ und rot ganz klar für „nicht gut“. Die einzelnen Elemente des Gottesdienstes und ihre Moderation, das Bibelgespräch, der Kindergottesdienst und Kinder während der Predigt, Technik, Saaldiakonie und Verhalten im Gottesdienst sowie Diakonie und Außenwirkung der Gemeinde waren Teil der Bestandsaufnahme. Anschließend wurden die bunten Karten den genannten Themenbereichen zugeordnet und jeder konnte mit Klebe-Punkten seine Zustimmung signalisieren.

Wie erwartet, bildete das Bibelgespräch einen Schwerpunkt mit teilweise kontroversen Ansätzen (ein oder mehrere Gesprächskreise; Zeit einhalten oder weitermachen, bis die Themen ausdiskutiert sind) sowie Wünschen nach mehr Anteilen für das tatsächliche Bibelstudium und größere Lebensnähe. Manche merkten an, dass es besonders für unregelmäßige Besucher (aber nicht nur für sie) wichtig sei, während des Gottesdienstes anzusagen, was wir weshalb tun (aufstehen, niederknien, Loblied, beten in der Stille usw.). Leere Worthülsen und weit verbreitete Formeln wie: „Wir singen jetzt noch zur Überleitung ein Lied“ galt es hingegen zu vermeiden ... In einem weiteren Schritt wurden schließlich Lösungen erarbeitet und dokumentiert, die nach und nach umgesetzt werden sollten, soweit dazu Einmütigkeit bestand. Der Gemeindeausschuss bekam die Aufgabe, gegensätzliche Wünsche zu prüfen und eine Entscheidung vorzubereiten.

Erste Änderungen zeigen Wirkung

Die Veranstaltung rief eine so spürbare Dynamik hervor, dass zahlreiche Ideen ohne formalen Beschluss einfach ausprobiert, und nachdem sie großen Anklang fanden, beibehalten wurden. „Ich habe den Eindruck, dass dadurch ein regelrechter Aufbruch in der Gemeinde stattgefunden hat“, sagte unser Pastor Willi Tytschina. Auf jeden Fall wurden (und werden nach wie vor) in Holzhausen wohl noch nie so viele Neuerungen in so kurzer Zeit eingeführt.

Ein auswärtiger Besucher fand es „stark“, dass eine Gemeinde dazu bereit sei, sich selbst auf den Prüfstand zu stellen – dazu gehöre schon eine entsprechende Reife. Die Rückmeldungen zum Gemeinde-Workshop sowie zum weiteren Vorgehen fielen durchweg positiv aus. Entscheidend war, dass sich jeder einbringen konnte und den Eindruck gewann: „Ich kann mithelfen, etwas zu verändern!“ Der Austausch über das Bibelgespräch führte dazu, dass die bisherigen zaghaften Versuche, eine zweite Gesprächsgruppe zu bilden, ernst genommen wurden. Zehn Personen (auch Männer) erklärten sich bereit, den Kindergottesdienst mitzugestalten, damit die Mütter entlastet werden. Der Einsatz von Technik ist ebenfalls nicht zu unterschätzen: Seit uns ein Laptop zur Verfügung gestellt wurde, läuft der Gottesdienst reibungsloser ab. Die Bibelgespräche werden pünktlich beendet und die Zeit für Bekanntmachungen ist fast auf Null gesunken, weil sie in der Pause angezeigt und zusätzlich am Schwarzen Brett ausgehängt werden.

Inzwischen hat sich ein Jüngerschaftskreis gebildet und die Gemeinde genießt einmal im Monat (statt vierteljährlich) Gemeinschaft beim Potluck mit sinnhaften Anschlussveranstaltungen (Aussprachen und Übungen in Bezug auf die Gottesdienstordnung, Art des Bibelgesprächs, gemeinsame Liederplanung für die 1. Stunde, Üben unbekannter Lieder, u.a.). In seiner letzten Sitzung hat der Ausschuss zudem beschlossen, nur in Ausnahmefällen mehr als eine Gemeindestunde pro Jahr abzuhalten, aber dafür häufigere „Gemeindeentwicklungstreffen“ zu planen.

Mittlerweile ist ein gutes Jahr seit unserem Gemeinde-Workshop vergangen und für verschiedene Bereiche wurden Folgeveranstaltungen bzw. Schulungen geplant und durchgeführt (z.B. Moderation der Gottesdienste, Bibelgespräch, Technik, Kinder usw.). Die Gottesdienstelemente erneut zu verstehen und unser Verhalten zu überdenken, hat einen Rahmen geschaffen, in dem Zuwendung und geistliche Entwicklung geschehen kann.

Info:

Ziele, die wir uns als Gemeinde gesetzt haben:

  • Wir sind uns stets der Gegenwart Gottes bewusst (Beten, Singen, Verhalten).
  • Wir wollen eine Gemeinde sein, die Gäste zu Jesus führen kann.
  • Wir entdecken Verbesserungswürdiges (Was könnte anders gestaltet werden? Was sind merkwürdige oder befremdliche Verhaltensweisen und Vorgänge?).
  • Wir formulieren Verbesserungswürdiges sachlich ohne Aggression und nehmen Dinge, die unser eigenes Verhalten betreffen könnten, nicht persönlich, sondern versuchen, daraus zu lernen.
  • Wir finden Lösungen.
  • Wir sind motiviert, die Lösungen einzuführen (ggf. einzuüben) und zu akzeptieren, dass nicht alles auf Anhieb klappt.

Tipps und Unterlagen, damit eine solche Veranstaltung die gewünschten positiven Ergebnisse bringt, können hier erfragt werden: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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