Der singende Schmied

Geschichte
Der singende Schmied

Aus dem Buch „Faszinierende Geschichten adventistischer Pioniere“

Wir wissen nicht viel über Herrn Gurney; doch zwei Dinge scheinen klar zu sein: Er war recht jung, als er Ellen Harmon zum ersten Mal öffentlich reden hörte; und er tat nie etwas ohne reifliche Überlegung und Planung. Als er hörte, dass eine junge Frau New Bedford besuchen und von ihren ungewöhnlichen Erfahrungen erzählen würde, ging er hin, um sie zu hören. Er war ein wenig überrascht, dass sie so jung war, war jedoch davon beeindruckt, dass sie so eine demütige und aufrichtige Christin war. Er hatte nichts auszusetzen an dem, wie sie aussah und was sie sagte; doch er war zu vorsichtig, um ihre Botschaft einfach zu akzeptieren. Es war eine Zeit religiösen Fanatismus’ in Amerika, und es gab nicht wenige Leute, die behaupteten, Visionen von Gott erhalten zu haben. Heman Gurney beschloss, sich selbst ein Bild von der Sache zu machen. Hatte Ellen Harmon neues Licht erhalten oder war dies auch wieder eine Irrlehre?

Sobald er beschlossen hatte, der Sache persönlich auf den Grund zu gehen, verlor Heman keine Zeit und machte sich auf den Weg nach Maine. Als er mit der Postkutsche in Portland ankam, fragte er nach dem Weg zum Haus der Harmons. Robert Harmon, Ellens Vater, hieß ihn herzlich willkommen. Nachdem er sich vorgestellt hatte, erzählte er Herrn Harmon, dass er aus zwei Gründen gekommen war: zum einen, um mit ihm zu reden, zum anderen hauptsächlich, um seine Tochter Ellen zu treffen und mehr über ihre Visionen zu erfahren. Herr Harmon war gerne bereit, mit Gurney zu sprechen, und freute sich über dessen ehrliches Interesse an Ellens Erfahrung. Nachdem er sich mit Ellen und ihrer Familie unterhalten hatte, war Gurney einmal mehr von der Echtheit von Ellens Zeugnis, ihren Visionen und ihrer Erfahrung mit Gott beeindruckt.

Als Nächstes sprach er mit Nachbarn, Freunden und Bekannten von Ellen und ihrer Familie. Alle bestätigten, dass sie genau so war, wie es den Anschein hatte – gewissenhaft, aufopfernd und bereit, die Aufgabe, die Gott ihr übertragen hatte, auszuführen.

Je mehr er über sie herausfand, desto überzeugter wurde Heman davon, dass Ellen Harmon von Gott berufen war. Bereitwillig akzeptierte er, dass ihre Visionen von Gott kamen. Unter dem Eindruck, dass Gott Fräulein Harmon als seine Botin berufen hatte, bezahlte Gurney die Hälfte der Druckkosten des Prospekts, in dem ihre erste Vision beschrieben wurde. Die andere Hälfte wurde von einem jungen Prediger namens James White bezahlt.

Gefährliche See

Ellen Harmon, ihre Schwester Sarah und eine gläubige Frau namens Ashley waren gerade zu Besuch in Fairhaven, Massachussetts, als Heman Gurney vorschlug, dass sie alle gemeinsam einen Ausflug nach West Island machen sollten. (West Island war eine relativ kleine Insel – nur zwei Familien lebten dort: die Halls und die Shermans.) Als Heman um die Mittagszeit eintraf, teilte ihm Sarah mit, dass Ellen krank sei. So ging er zurück an seine Arbeit. Als er im Laufe des Nachmittags wiederkam, vernahm er, dass Ellen so krank sei, dass sie nun doch nicht würden gehen können. Heman fragte, ob es noch einen anderen Grund gäbe, weshalb sie nicht gehen konnten. Dies verneinte sie. Er schlug vor, dass sie beten und den Herrn bitten sollten, Ellen zu heilen. Sie beteten, woraufhin sich Ellen sofort besser fühlte. Bald darauf segelten sie den Fluss Richtung Buzzard’s Bay hinunter. Fröhlich und gut gelaunt sangen sie einige geistliche Lieder.

Ein wenig später machte Gurney sie auf das Wetter aufmerksam. „Ich mache mir ein wenig Sorgen, wenn ich den Himmel anschaue“, sagte er sorgenvoll. „Es sieht so aus, als ob jederzeit ein Sturm losbrechen könnte.“ Tatsächlich zog kurz darauf ein heftiger Sturm über dem Wasser auf. Die Wellen wuchsen bedrohlich an, und ihr kleines Boot war von tosendem Donner umgeben. Verzweifelt versuchte Heman, die Segel zu richten, während die anderen sich nach Gegenständen umsahen, mit denen sie das Wasser, das ins Boot floss, herausschöpfen konnten. Es schien sicher, dass sie alle verloren waren, wenn der Herr kein Wunder tat.

Ellen kniete sich im Bauch des Segelboots nieder und fing an zu beten und Gott zu bitten, sie zu retten. Riesige Wellen überspülten sie. Grelle Blitze zuckten um sie herum. Wir wissen keine Einzelheiten über diese schrecklichen Minuten; doch man kann sich vorstellen, dass Heman sein Bestes tat, um das Boot vor dem Kentern zu bewahren, während die beiden Frauen versuchten, das Wasser auszuschöpfen und sich am Boot festklammerten. Als es so aussah, als gäbe es keine Hoffnung mehr auf Rettung, wurde Ellen eine Vision gegeben. Als sie später darüber berichtete, sagte sie: „Ich sah, dass erst das gesamte Meer austrocknen müsste, bevor uns irgendetwas zustoßen würde, denn mein Werk hatte gerade erst begonnen.“

Nach ihrer Vision hatten sie keine Angst mehr. Der Wind trug ihre Dankeslieder zum dunklen Himmel empor, während das kleine Boot von den schäumenden Wellen hin- und hergeschleudert wurde. Es war so dunkel, dass sie einander vom einen Ende des Boots bis zum anderen nicht sehen konnten. Gurney versuchte, den Anker auszuwerfen; doch dieser hielt nicht.

Schließlich ließ der Sturm nach und ihr Boot trieb Richtung Land – glücklicherweise in Richtung West Island. Erneut versuchte Gurney, den Anker auszuwerfen. Diesmal fasste er Grund. Sie riefen um Hilfe, da der Kiel des Segelboots sie daran hinderte, nahe genug ans Ufer zu fahren, um an Land zu waten. Inzwischen war es sehr spät und alle Inselbewohner schliefen bereits. Alle, außer einem kleinen Mädchen. Dieses hörte ihre Hilferufe, ging und weckte seinen Vater auf, und er kam ihnen mit seinem Ruderboot zu Hilfe. Den Rest der Nacht verbrachten die vier jungen Leute damit, Gott für seine wunderbare Errettung aus dem drohenden Wassergrab zu danken und zu preisen.

[...]

Heman Gurney war sowohl ein Mann des Gebets als auch ein Mann der Tat. Ellen White erwähnt etliche Male in ihren Schriften, dass er anwesend war, wenn um Heilung für Kranke gebetet wurde. Sein Hauptanliegen war es stets, anderen von der Wiederkunft des Herrn zu erzählen und ihnen zu helfen, bereit zu sein.

Gurney konnte nicht nur gut mit Zange und Amboss umgehen; er hatte auch eine gute Singstimme, die oft zu hören war, wenn er in seiner Schmiede arbeitete. Bei den Milleriten und in adventistischen Kreisen als der ‚singende Schmied‘ bekannt, war er als Solosänger bei Evangelisationen sehr gefragt.

Im Jahr 1866 zogen Gurney und seine Frau nach Memphis, Michigan, wo es eine große Gruppe von Sabbathaltern gab. Dreißig Jahre lang diente er als Ältester der Ortsgemeinde und kümmerte sich um die Gemeindeglieder. 1869 war er sogar Vorsteher der Michigan Vereinigung. Er war sowohl in der Gemeinde als auch in der Nachbarschaft sehr beliebt.

Mit zunehmendem Alter ließ seine Gesundheit nach, so dass er seine Aufgaben jemand anderem übergeben musste. Er starb am 4. August 1896 in der Gewissheit der „glückseligen Hoffnung“, seinen Herrn zu sehen, wenn er kommt, um die Seinen zu sich zu holen.

Die Lebensgeschichte dieses treuen Pioniers erinnert von Anfang bis zum Ende daran, dass die Kraft der Adventgemeinde im Leben und Wirken der ‚kleinen‘ Leute liegt – derjenigen, die unbekannt und unbesungen sind, aber in aller Stille für Gott wirken und Seelen für sein Reich gewinnen.

Der Review and Herald druckte in seiner Ausgabe vom 3. Januar 1888 einen Artikel von Herrn Gurney ab. Er trug den Titel: ‚Erinnerungen an die Frühzeit der Adventbewegung‘1 und schloss mit folgenden Worten: „O, dass doch [heute] unter uns der gleiche Geist der Hingabe und Opferbereitschaft zu spüren wäre, der in der Anfangsphase dieser Botschaft offenkundig war! Dann würden wir größere Anstrengungen unternehmen, um die Botschaft hinauszutragen. Die leitende Hand des Herrn würde mit noch größerer Kraft offenbar werden. Das Werk würde in Gerechtigkeit abgekürzt werden, und schon bald würde das Volk Gottes triumphierend und siegreich auferstehen.“

Heman Gurney – ‚der singende Schmied‘. Ein Mann, der keine Mühen scheute, um anderen zu helfen und die gute Nachricht von der baldigen Wiederkunft Jesu zu verbreiten. Ja, er war enttäuscht, dass Jesus 1844 nicht wiederkam; doch er lebte ein erfülltes und nützliches Leben, das auf der seligen Hoffnung gegründet war, dass Jesus kommt und dass er bald kommt. Ja, seit 1844 sind mehr als 160 Jahre vergangen; doch auch wir können in der seligen Hoffnung leben, dass es nicht mehr lange dauern wird – nicht mehr lange dauern kann – bis Jesus wiederkommt, um seine Kinder heimzuholen an den Ort, den er für sie vorbereitet hat.

Wir warten auf „die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Erlösers Jesus Christus“ und wissen, dass „dieser Jesus so wiederkommen wird“, wie er in den Himmel aufgefahren ist.

Heman Gurneys Lieblingslied war: ‚Ich bin ein Pilger und ich bin ein Fremder‘. Eines Tages, bald schon, werden wir die Gelegenheit haben, ‚den singenden Schmied‘ auf der Neuen Erde kennenzulernen. In jenem herrlichen Land wird es keine Pilger oder Fremden geben und Heman Gurney wird ein neues Lied singen, das Lied des Mose und des Lammes.

Quellen:

1 Originaltitel: Recollections of Early Advent Experience.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem 2018 erschienen Buch Faszinierende Geschichten adventistischer Pioniere (Band 1) von Norma J. Collins.

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