Prophetie
Von der reinen Frau zur Hure
Das wahre Erbe der Reformation
Als Martin Luther im Jahre 1520 sein Werk „Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ publizierte, griff er darin die katholischen Sakramente an und distanzierte sich grundlegend von der Lehre der Katholischen Kirche. Er ging so weit, den Papst ganz direkt anzugreifen und schrieb: „So weiß ich jetzt und bin ganz gewiss, dass das Papsttum das babylonische Reich und die Herrschaft Nimrods, des gewaltigen Jägers ist. … Das Papsttum ist die wilde Jagd des römischen Bischofs.“ (Abschnitt „Vorspiel Martin Luthers“.) Aufgrund der durch die Reformation Luthers und weiterer Mitstreiter aufgeworfenen Fragen kam es auf dem Konzil von Trient (1545-1563) zu einer deutlicheren Definition des Katholischen Glaubens, wodurch die Kluft zwischen beiden Richtungen noch größer wurde.
Auch die späteren protestantischen Gelehrten übten sich nicht gerade in Zurückhaltung, sondern betonten ganz offen, dass die Katholische Kirche nicht allein die Hure Babylon der Offenbarung (Kapitel 17) sei, sondern gleichermaßen das „Kleine Horn“ aus Daniel 7-8, das erste Tier aus Offenbarung 13 sowie der Antichrist, der
„sich erhebt über alles, was Gott oder Gottesdienst heißt, sodass er sich in den Tempel Gottes setzt und vorgibt, er sei Gott“ (2. Thess. 2,4).
Anpassung an den Zeitgeist
Die Aufklärung, die sich in Europa nach dem Dreißigjährigen Krieg (16181648) immer stärker Bahn brach, beeinflusste zunehmend auch die protestantische Kirche. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam der Protestantismus schließlich dahin, die Bibel mehr als Menschendenn als Gotteswort zu betrachten. Man begab sich immer freier auf die Suche nach dem „Wort [Gottes] im Wort [der Bibel]“ und stellte die eigene Vernunft als obersten, kritischen Maßstab über die Heilige Schrift. Ganz im Geiste der immer radikaleren Aufklärung, lehnte man die Wunder der biblischen Erzählung sowie die göttliche Inspiration insgesamt immer deutlicher ab.
Ein Problem auf diesem Weg der Anpassung an den Zeitgeist der säkularen Wissenschaft war jedoch die biblisch-apokalyptische Prophetie, besonders die Bücher Daniel und Offenbarung – sagten sie doch mitunter Jahrtausende vor dem Eintreffen eines Ereignisses genau dessen Entwicklung voraus. Die historizistische Auslegungsschule, die die biblische Prophetie als sich im Fortgang der Weltgeschichte erfüllende Vorhersagen interpretierte, musste daher mehr und mehr aufgegeben werden. Stattdessen wurde einerseits der auf den Jesuiten Luis de Alcazar zurückgehende „Präterismus“ übernommen, der alle Vorhersagen als bereits in der Vergangenheit erfüllt ansieht, bzw. große Teile der Prophetie gar als „ex eventu“ betrachtet (also eine nach dem „vorhergesagten“ Ereignis rückblickend niedergeschriebene „Prophetie“). Andererseits nahmen die eher bibelgläubigen, evangelikalen Freikirchen den ebenfalls auf Jesuiten (F. Ribera, R. Bellarmin) zurückgehenden „Futurismus“ an, der die Erfüllung zumindest weiter Teile der apokalyptischen Prophetie noch in der Zukunft erwartet.
Beide Schulen haben gemeinsam, dass sie die lange Zeit des Mittelalters und der Neuzeit mit all ihren heilsgeschichtlich so wichtigen und relevanten Ereignissen ausblenden und damit das prophetische Urteil Daniels und der Offenbarung hinsichtlich der antichristlichen Herrschaft der Katholischen Kirche neutralisieren. Der prophetische „Stachel“ des Protestantismus, der der Katholischen Kirche so lange und hart zugesetzt hatte, war beseitigt.
Geistliche Untreue
Es ist biblisch äußerst interessant, dass sich dies gerade um 1800 herum deutlich zeigte – und damit eben gerade zu jener Zeit, als der göttliche Schutz der dreieinhalb prophetischen Zeiten (von 538 bis 1798) endete. Offenbarung 12,17 spricht daher auch nur noch von den „Übrigen der Nachkommenschaft“ der Frau, die von Satan verfolgt werden. Die Frau (d.h. die Gemeinde Gottes seit dem Urchristentum) hatte er nun offenbar besiegt, die „Übrigen von ihrer Nachkommenschaft, die die Gebote Gottes halten“, allerdings noch nicht. Die Gebote Gottes halten kann nur, wer die Bibel vollständig als Wort Gottes annimmt. Wer dies nicht tut, wird sich kaum an ihre Vorgaben halten. Eben dieses existenzielle Grundprinzip wurde zuerst in der Katholischen Kirche durch die Tradition ersetzt und später auch in der protestantischen Welt durch die Bibelkritik aufgegeben.
Das nächste Mal, dass eine Frau in Erscheinung tritt, ist in Offenbarung 17 der Fall. Es ist auffällig, dass die dort beschriebene Frau, das „große Babylon, die Mutter der Huren“ (Vers 5) sich an eben jenem Ort befindet, an dem zuvor die reine Frau aus Offenbarung 12 war: in der Wüste (Offb. 12,14; 17,3). Das Symbol der Hurerei wird in der Bibel nur dann verwendet, wenn es sich um das Volk Gottes handelt, das Gott gegenüber untreu wird. Das kann aber nur auf die Kirchen zutreffen, die sich seit dem Urchristentum von der biblischen Wahrheit entfernt hatten. Während in Kapitel 13,1-10 das „Tier aus dem Meer“ (die Katholische Kirche) die Gemeinde Gottes verfolgte, hat sich die (ehemalige) Gemeinde Gottes am Ende der Verfolgungszeit (nach 1798) nun offenbar mit eben jenem Tier eingelassen. Damit unterliegen die protestantischen Kirchen dem Urteil der geistlichen Untreue bzw. „Hurerei“ (Offb. 14,8).
Rascher Abfall
Gerade durch die Gefangennahme des Papstes 1798 – in Offenbarung 13,3 als „tödliche Wunde“ beschrieben – konnte dieser Sieg des Tieres errungen werden: Die Schwäche der Katholischen Kirche (das erste Tier aus Offb. 13) machte das Aufeinanderzugehen von protestantischer Seite sehr einfach. Es war nun keine Gefahr mehr zu befürchten, sondern es bestand vielmehr die Chance, diese Kirche zur „Reformation“ zu führen. In Offenbarung 17 sehen wir das Ergebnis dieses Aufeinanderzugehens anhand des Symbols der abgefallenen Frau. Übrigens reitet die Hure Babylon das Tier nicht allein an dem Ort der ehemals reinen Frau aus Offenbarung 12, sondern auch zu eben jener Zeit, in der sie den Schutz Gottes verlässt (Ende der dreieinhalb Zeiten im Jahre 1798): Wir erfahren in der zweiten Engelsbotschaft (Offb. 14,8), dass Babylon damals, als diese Botschaft unter William Miller kurz vor 1844 erstmals gegeben wurde, gerade frisch abgefallen war.
Betrachtet man diese Parallelen, wird auch verständlich, weshalb sich Johannes „sehr wunderte, als er sie [die Hure Babylon] sah“ (Offb. 17,6). Er ist erschrocken von dem raschen und so radikalen Abfall der ehemals reinen Frau hin zur Hure. Trotz all der erschreckenden Einblicke in die Weltgeschichte, die Johannes erhält, ist dies das einzige Mal, dass er sich wundert! Welch unfassbare, höchst negative Wende hat doch die vormals so sehr von Gott umsorgte, geschützte und gesegnete Kirche genommen. Der Fortgang des 17. Kapitels der Offenbarung lässt uns wissen, dass die Einheit beider Kirchen (katholischer und evangelischer) sehr eng ist und durch politische Macht (Vers 12) schließlich noch erweitert wird. Am Ende wird sich die Katholische Kirche allerdings durchsetzen.
Erben der Reformation?
Dies sind unbeliebte Aussagen, besonders da wir uns im Jahr des 500-jährigen Jubiläums der Reformation befinden. Die prophetische Auslegung soll jedoch aufzeigen, dass wir es in der aktuellen protestantischen Welt eben nicht mit dem reformatorischen Erbe eines Martin Luther zu tun haben. Erben der Reformation sind lediglich einige wenige, die in Offenbarung 12,17 als „Übrige von ihrem Geschlecht“ beschrieben werden und die auch heute noch, in einer Zeit des allgemeinen Abfalls und Unglaubens, die „Gebote Gottes und das Zeugnis Jesu“ (Offb. 12,17) sowie den (wahren) „Glauben Jesu“ (Offb. 14,12) hochhalten. Sie sind es, die den Fall Babylons verkünden und aus dieser unbiblischen Glaubensrichtung herausrufen (Offb. 14,8; 18,1-4). Dies geschieht allerdings nicht allein aufgrund der biblisch-prophetischen Lehre, die wir als Siebenten-Tags-Adventisten verkündigen, sondern auch mittels des Geistes der Weissagung, der ebenfalls in Offenbarung 12,17 (vgl. 19,10) für Gottes Endzeitgemeinde vorhergesagt ist; er offenbarte sich im Dienst Ellen G. Whites, die uns auf folgende Aspekte Babylons hinweist:
„Gott klagt nach Offenbarung 14,8 Babylon an, denn sie hat mit dem Zorneswein ihrer Hurerei getränkt alle Völker ...‘ Gott schuf die Welt in sechs Tagen; er ruhte am siebten, heiligte ihn und sonderte ihn von allen anderen Tagen als seinen Tag ab, den alle Gläubigen zu allen Zeiten beachten sollten. Doch ‚der Mensch der Sünde‘, der sich über Gott erhob, der sich in den Tempel Gottes setzte und sich selbst als Gott ausgab [2. Thess. 2,3-4], nahm sich vor, Zeiten und Gesetze zu ändern. Diese Macht ... veränderte den Ruhetag und setzte den ersten Tag der Woche an die Stelle des siebten. Und die protestantische Welt hat dieses ‚Erbe‘ vom Papsttum übernommen, um es als heilig zu betrachten. Im Wort Gottes wird dies als ihre Hurerei bezeichnet.“ (Ellen G. White, The S.D.A. Bible Commentary, Bd. 7A, 423)
Im Folgenden ergänzt sie außerdem: „Im 18. Kapitel der Offenbarung wird das Volk Gottes aufgefordert, aus Babylon herauszugehen; demzufolge müssen noch viele vom Volk Gottes in Babylon sein. In welchen religiösen Gemeinschaften ist aber jetzt der größere Teil der Nachfolger Christi zu finden? Zweifellos in den verschiedenen Gemeinschaften, die sich zum protestantischen Glauben bekennen.“ (Ellen G. White, Der große Kampf, 385-386.393; vgl. Christus kommt bald,
141)
Es ist die erste Engelsbotschaft, die das wahre, „ewige Evangelium“ (Offb. 14,6) wiederherstellt (reformiert). Das ist der Auftrag, den wir als Adventisten von Gott bekommen haben. Erst wenn „dieses [wahre, ewige] Evangelium vom Reich in aller Welt“ verkündigt wurde, „dann wird das Ende kommen“ (Mt. 24,14). Es wird deutlich, dass Adventisten „eine Aufgabe von größter Wichtigkeit übertragen worden ist – die erste, zweite und dritte Engelsbotschaft zu verkündigen. Kein anderes Werk ist von solch großer Bedeutung. Sie dürfen sich deshalb von nichts anderem ihre Aufmerksamkeit rauben lassen.“ (Ellen G. White, Testimonies for the Church, Bd. 9, 19)
Info
Vorträge zum Thema „Die ‚Babylonische Gefangenschaft‘ der Kirche“ finden Interessierte unter www.ats-info.de/medien.html