Bibel und Glaube
Ist dunkle Haut die Folge eines Fluchs über Ham?
Warum haben wir unterschiedliche Hautfarben? Diese Frage wird von Kindern gerne gestellt, und selbst später beschäftigt das Thema viele Erwachsene. Manche sind der Meinung, hierfür die Antwort in Genesis 9,18-27 gefunden zu haben, und behaupten: „Die dunkle Haut ist die Folge eines Fluchs über Ham!“ Ob diese Auffassung biblisch haltbar ist und was das Wort Gottes noch über Rassismus zu sagen hat, wird hier erklärt.
Bereits in den ersten Kapiteln versucht die Bibel viele Aspekte unseres Lebens (seit dem Sündenfall) zu erklären: Warum sterben wir? Warum die vielen Sprachen? – bis hin zu der Frage, weshalb Schlangen auf dem Bauch kriechen. In der momentan wieder stärker präsenten Diskussion um Rassismus – woher er kommt und wo Menschen unberechtigterweise benachteiligt und unterdrückt werden – suchen viele auch dazu Rat in diesen ersten Kapiteln der Bibel. Könnte es sein, dass hier Aufschluss darüber gegeben wird, warum manche helle und manche dunkle Haut haben und wie wir damit umgehen sollten?
Ich muss zugeben, dass ich diesen Erklärungsansatz vorher noch nicht kannte. In den letzten Monaten bin ich jedoch vermehrt in christlichen als auch nicht-christlichen Kreisen über den „Fluch Hams“ gestolpert. In (sicherlich „über-vereinfachter“) Kürze besagt der Ansatz Folgendes: Nach der Sintflut sündigte Ham schwer an seinem Vater (Gen 9,18-22). Als Noah das erfuhr, verfluchte er ihn und seine Nachkommen dazu, Sklaven seiner Brüder Sem und Japhet zu sein (Gen 9,24-27). Da die Nachkommen Hams dunkelhäutig waren, wird dies mit dem Fluch in Verbindung gebracht. Obwohl damit sicherlich manche Frage beantwortet wäre, ist dieser Erklärungsansatz nicht biblisch – genau genommen sind sich Theologen und Historiker nicht ganz einig, wo und wann diese Theorie entstand. Ein kurzes Studium des Abschnitts macht etwas ganz anderes deutlich. Was soll uns diese Geschichte sagen?
Betrachtet man den Kontext, findet Noah sich nach der Sintflut als Weingärtner betrunken und entblößt in seinem Zelt wieder. Als Ham ihn so entdeckt, scheint er unangemessen damit umzugehen; denn nachdem er seinen Brüdern davon berichtet, decken sie ihren Vater mit einem Mantel zu. Nachdem Noah zu sich kommt und feststellt, was passiert ist, spricht er einen Fluch und einen Segen aus. Beim Lesen der Geschichte fallen einige wichtige Punkte auf:
1.) Das genaue Wesen der Sünde Hams wird nicht genannt (die Sünde Hams wird stark diskutiert und würde hier den Rahmen sprengen). Dennoch wird deutlich, dass es um kein Versehen, sondern um eine bewusste Handlung Hams geht (in Vers 22 wird „sehen“ im Sinne von „ansehen/hinsehen“ verwendet), die im Kontrast zur Reaktion seiner Brüder steht (Vers 23).
2.) Es wird ein Fluch über Kanaan, den Sohn Hams, nicht über Ham selbst, ausgesprochen (Vers 25).
3.) Kanaans Nachkommen siedelten später offenbar in Kanaan (wer hätte das gedacht), nicht in Nordafrika. Kanaan wird also nicht mit einer Gegend in Verbindung gebracht, in der typischerweise Dunkelhäutige leben.
4.) Ham hat noch drei weitere Söhne: Kusch, Mizrajim und Put (Gen 10,6), von denen unter anderem die Äthiopier, Ägypter und Libyer abstammen.
5.) Die Hautfarbe wird in den ersten Kapiteln der Bibel nicht erwähnt.
Kurz und bündig gesagt, lässt sich aus diesem Abschnitt also nicht ableiten, die Hautfarbe hätte etwas mit dem Fluch über Ham zu tun. Verwunderlich ist, dass nicht direkt Ham verflucht wird, sondern einer seiner Söhne (dazu gleich mehr). Sollte diese Geschichte tatsächlich den vermeintlich berechtigten Ursprung der Sklaverei von Schwarzen aufzeigen, dann ist es umso seltsamer, dass unter den vier Söhnen Hams der einzige für den Fluch gewählt wird, von dem keine Nationen abstammen, die wir heute in Nordafrika finden würden. Offensichtlich ist in dieser Geschichte weder die Hautfarbe von Interesse (da sie weder direkt noch indirekt erwähnt wird) noch, dass Sklaverei oder Rassismus in irgendeiner Form gerechtfertigt sind. Was ist aber dann die Aussage dieses Bibelabschnitts?
Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Geschichte von Mose aufgeschrieben wurde – wahrscheinlich im Hinblick auf die bevorstehende Landnahme Kanaans, auf die er das Volk Israel vorbereiten wollte. Der Kerngedanke dieses Abschnitts wäre demnach, dass die Abscheulichkeiten der Völker Kanaans nicht von Unwissen herrührten. Gott geht bei der Landnahme Kanaans nicht gegen seine Anwohner vor, weil sie das Pech hatten, Gott nicht zu kennen, sondern weil sie, ähnlich wie Ham, in fehlgeleiteter Unabhängigkeit ihren eigenen Ideen nachgingen und sich von Gott entfernten, obwohl sie ihn kannten. Auch sie haben ihre Wurzel in den Geretteten der Arche – doch bleibt man nicht gerettet aufgrund von ethnischer (Volks-) Zugehörigkeit, sondern aufgrund der Beziehung zu Gott, die in unserem Leben sichtbar wird. Die Bestrafung der Kanaaniter geschah als Folge ihrer Entscheidungen, nicht ihrer Ethnie oder ihrer (falschen/schlechten) Abstammung. Bereits Abraham, der unter den Kanaanitern lebte und sie wieder an die Wahrheiten Gottes erinnerte, wurde verheißen: „In dir sollen alle Völker gesegnet werden“ – „alle“ inkludiert auch die Söhne Hams; Kusch, Mizrajim, Put und sogar Kanaan. Noah scheint also prophetisch vorauszuschatten, was in den Linien seiner Söhne – besonders im Hinblick auf Kanaan – passieren wird.
Zusammenfassend lässt sich also sagen: Ein kurzer Blick in den Textabschnitt von Genesis 9 zeigt, dass eine dunkle Hautfarbe unmöglich auf einen Fluch über Ham zurückzuführen ist (allen voran, weil nicht einmal Ham verflucht wird und die Hautfarbe nicht erwähnt wird). Rassismus ist der Bibel und ganz offensichtlich dieser Geschichte fremd. Und auch darüber hinaus thematisiert die Bibel unterschiedliche Hautfarben (nahezu) gar nicht. Diese Geschichte greift vielmehr vorweg, dass Gottes Gericht (Segen und Fluch) nicht aufgrund von Abstammung, Hautfarbe oder anderen Merkmalen Anwendung findet, sondern aufgrund von unserer Beziehung zu Gott, die in unserem Leben sichtbar wird. Ham sowie die Völker Kanaans traf das Gericht (Fluch) aufgrund ihrer Abkehr von Gott, die sich in für Gott abscheulichen Handlungen ausdrückte. Dies sollte gleichzeitig eine Botschaft an Israel sein, das nun nach der Befreiung aus Ägypten vor den Toren Kanaans stand: Nicht eure Abstammung, sondern eure Beziehung zu Gott wird entscheiden, ob euch Fluch oder Segen trifft – wählt daher selbst!