Schule
Angekommen und aufgenommen
Vom Bombenhagel zur Ruhe im Zufluchtsort
Die Heimat zerstört und nur mit dem bloßen Leben entkommen. Der Kriegszustand in der Ukraine hat viele Menschen von einem Tag auf den anderen zur Flucht gezwungen. Wie sie nun in Deutschland ihren Neuanfang meistern und sich trotz Ängsten, Traumata sowie Sprachbarrieren zurück ins Leben kämpfen und wie die Integration von Flüchtlingskindern im Schulalltag in Isny ganz praktisch aussieht – davon erzählt Ulla Mrozek.
Der Morgen des 24. Februar 2022. Ein Dorf im Nordosten der Ukraine, nahe Konotop. Maxim wird durch Explosionen aus dem Schlaf gerissen. Kampfflugzeuge lärmen über den Himmel. Es ist Donnerstag, die Pläne für den Tag: Maxim will zur Schule. Doch das Schlimmste passiert. Familie Kovalenko war gewarnt worden, jetzt müssen sie tatsächlich im Keller Schutz suchen. Militärische Einheiten fahren durch das Dorf. Die Erde bebt immer wieder, Maxim und seine Familie zittern. Alle sind emotional erschöpft. Maxim weint. Drohnen fliegen. Später werden Umspannwerke durch Raketen zerstört, die Kovalenkos müssen fliehen. 250 km weiter südöstlich, Poltawa, 4. März 2022. Sascha und seine Eltern Nadezhda und Andrey flüchten nach Lemberg, von dort geht es für Familie Ishchenko über Polen weiter nach Westen. Sascha ist müde und sehr verängstigt. Was wird die Zukunft bringen?
Familien in Gefahr, auf der Flucht. Schon Jahrtausende zuvor erlebte Jesus mit seinen Eltern Maria und Josef dieses Schicksal. Mt 2,13-14: „Steh auf und flieh mit dem Kind und seiner Mutter nach Ägypten, sagte der Engel; […] denn Herodes will das Kind umbringen. Noch in derselben Nacht machte sich Josef mit dem Kind und dessen Mutter Maria auf den Weg nach Ägypten.“ – Familien in Furcht, unterwegs in ein anderes Land – Rettung vor Gewalt, Grausamkeit und Gefahr. Der Weg ist weit, für Jesus, Maria und Josef, wie für die Familien Kovalenko und Ishchenko. Für Jesus und seine Familie war in Ägypten erst einmal alles fremd, eine neue Sprache, neue Gerüche, andere Menschen. Sie sind froh in Sicherheit zu sein, loben Gott für ihre Rettung. Aber das neue Leben bringt auch Herausforderungen mit sich.
Isny im Allgäu, eine malerische Kleinstadt im Voralpenland: Maxim sitzt im Klassenzimmer unserer adventistischen Schule. Er versucht, gleich auf Deutsch zu antworten. Maxim will so schnell wie möglich Deutsch lernen. Er arbeitet eifrig mit. Im Rahmen des Unterrichtsthemas „Faszinierendes aus anderen Ländern“ stellt Maxim schon bald eine Präsentation über die Ukraine vor, auf Deutsch. Auch Sascha ist froh, in Isny angekommen zu sein. Auf dem Weg ins Allgäu haben viele Menschen Familie Ishchenko jede erdenkliche Hilfe geleistet. Sascha ist in der ersten Klasse, er geht gerne zur Schule. Besonders gefallen ihm der Deutschunterricht, Sport und kreatives Arbeiten. Doch der Krieg und die Flucht haben Narben in seiner Kinderseele hinterlassen. Am Anfang war Sascha lange Zeit verschlossen und weigerte sich, ohne Begleitung von Erwachsenen nach draußen zu gehen. Die ersten Monate waren für die Familie Schock und Stress. Die Anpassung an das neue Umfeld, die Kultur und Mentalität braucht Zeit. Nadezhda sagt: „Die größte Schwierigkeit ist mit den geringen Sprachkenntnissen verbunden, es erzeugt ein Vakuum. Doch ich bin sehr dankbar für das Verständnis und die Unterstützung, die die Lehrkräfte in Isny für unsere ukrainischen Kinder aufbringen.“ Als Dankeschön hat Saschas Mama für uns eine Torte gebacken. Und Maxims Mutter betont: „Die Lehrer sind wirklich gut und die Kinder sind freundlich. Es gibt viele russischsprachige Menschen im Umfeld der Schule, was sehr gut für die Integration unserer Kinder ist. Und wir lernen Deutsch!“
Für die Integration von Schülerinnen und Schülern mit Fluchterfahrung spielt die Zusammenarbeit von Eltern und Lehrkräften eine besondere Rolle. Sprache und schulische Bildung sind der Schlüssel. Von Anfang an haben wir Vorbereitungsklassen für die ukrainischen Schülerinnen und Schüler angeboten. Parallel wurden Deutschkurse für die Eltern durchgeführt, ein bewährtes Format. Heute sind die Kinder im Regelunterricht und arbeiten aktiv mit. 19 ukrainische Schülerinnen und Schüler wurden zu Spitzenzeiten an unserer Schule integriert, zudem zwei ukrainische Lehrkräfte für Deutsch als Zweitsprache und Englisch angestellt. Hier wächst eine neue internationale Schulgemeinschaft zusammen. Maxim und Sascha sind mit dabei.
Jesus war selbst ein Flüchtlingskind. Er betont in Mt 25,34-35 den Segen, der allen verheißen ist, die Geflüchteten helfen: „Kommt her! Euch hat mein Vater gesegnet. Nehmt Gottes neue Welt in Besitz. […] Ich war ein Fremder bei euch, und ihr habt mich aufgenommen.“