Leben
Artventist & Co.
Als Influencer Glauben weitergeben
Es war ein dunkler und kalter Oktobertag. Niedergeschlagen saß ich auf unserem grauen Sofa, mit der Bibel in der Hand, und wusste irgendwie nicht weiter. In meinem Leben gab es Freundinnen, die ich von ganzem Herzen lieb hatte und ohne die ich mir die Ewigkeit nicht vorstellen konnte. Wir kannten uns schon ein paar Jahre, aber es hatte immer noch keine von ihnen ihr Leben Gott übergeben – obwohl ich bereits gefühlt alles probiert hatte, was in Zusammenhang mit „Freundesmission“ angeblich Wirkung zeigen soll. Scheinbar war ich unfähig, auch nur einen einzigen Menschen, den ich gern hatte, zu Jesus zu führen. Meine missionarische Inkompetenz stimmte mich traurig, und in Momenten wie diesen machten sich Schuldgefühle breit.
„Wenn sie doch nur genauso häufig in die Bibel schauen würden wie auf ihr Smartphone“, dachte ich fast schon verbittert und bemitleidete mich selbst, da ich so unfähig herumsaß. „Aber du kannst ja keinen Menschen zwingen, eine Bibelapp herunterzuladen und die Verse täglich zu lesen. Dieser doofe freie Wille ...“, ärgerte ich mich. Während meiner Gebetszeit kam mir an jenem Abend der Gedanke: Wenn sie nicht zur Bibel kommen (und auch die Bibel nicht lasen, die ich ihnen geschenkt hatte), dann musste die Bibel eben zu ihnen kommen: täglich, machtvoll, berührend, attraktiv. Aber wie? Ich konnte ja „leider“ nicht zaubern ...
Als ich weiter so darüber nachdachte, fiel mir etwas ein: Was sie am meisten in die Hand nahmen, war ihr Handy. Die Lieblingsapp von uns allen war „Instagram“ – ein soziales Netzwerk, bei dem Bilder ähnlich wie bei Facebook „geliked“ und kommentiert werden können. Sie verbrachten täglich Stunden damit! Warum konnte also nicht Instagram die geistliche Plattform für sie werden? Keine andere App und keinen anderen Gegenstand nutzten sie häufiger. Aber wie sollte das funktionieren? Sie interessierten sich eher für Kalligraphie, Kunst, Handlettering und Mode als für Gott und sein Wort ... Vielleicht würde es ja trotzdem eine Möglichkeit geben, ihre Interessen und ihren Geschmack mit dem Weg zu ihrer Errettung zu verbinden. Ich legte die Idee in Gottes Hand. Er ist schließlich der mächtigste Missionar. Er hatte bisher immer die besten Einfälle. Wenn er meine Freundinnen retten wollte, dann war er jetzt an der Reihe.
„Artventist“ wird geboren
Weil es mir schon immer schwerfiel, mich im genauen Wortlaut an gelesene Bibelverse zu erinnern, hatte ich einige Wochen zuvor begonnen, Texte abzuschreiben und ein passendes Bild dazu zu malen – meist war es eine einfache Illustration des Gelesenen. Ich merkte schnell, welche Macht Bilder in meinem Fall hatten, um Gottes Wort tief in mein Herz zu versenken. So kam mir an einem Morgen beim Zeichnen der Gedanke: Warum sollte ich meine Bilder nicht auf Instagram als täglichen Begleiter für meine Freundinnen posten?
Die Idee kam mir gut vor, aber ich wollte sie nicht ohne Gott anpacken. Da ich auch schon etwas aus der Übung war, bat ich ihn, mir für das Malen seinen Geist zu schenken, um damit Herzen zu berühren, die sich ihm noch nicht geöffnet hatten – und auch nur, wenn es wirklich sein Wille war, dass ich auf diese Weise meine Freundinnen erreichte. Mir war klar: meine Fähigkeit allein würde nicht ausreichen. Ich war weder Frida Kahlo noch Pablo Picasso. Aber ich wusste, dass sich Bibelverse, verbunden mit einem Bild, in die Herzen von Menschen graben können – tiefer, als wenn man Worte „nur“ gelesen hat. Vielleicht war das eine Möglichkeit, Gottes Wesen und seinen Charakter auf kreative Weise Menschen zu zeigen, die ihn bisher noch nicht kannten und die niemals freiwillig eine Bibel in die Hand nehmen würden.
So wurde an jenem Morgen die Idee für mein Instagram-Missionsprojekt „Artventist“ geboren. „Art“ ist das englische Wort für „Kunst“ oder „Gestaltung“. Der Gesamtbegriff sollte an das Wort „Adventist“ erinnern und ohne Umschweife auf meinen Glauben hinweisen. Ich nahm mir vor, meine bisher erfolglosen Seelengewinnungs-Versuche im Internet fortzusetzen. Wenn schon die Fitness- und Mode-Branche sowie sonstige Mega-Industrien es schafften, sogenannte „Follower“ (dt.: Anhänger) zu sammeln, warum sollte es Gott nicht möglich sein, Instagram zu seinem Zweck, zu seiner Ehre zu nutzen? Ich würde Menschen fischen auf moderne Art! Mit allen Gaben und Talenten, die Gott mir gegeben hatte. Ab heute wollte ich ein „Influencer für Jesus“ sein, auf Instagram.
Influencer für Gott?
Was wie eine ansteckende Krankheit klingt, ist unter Heranwachsenden mittlerweile zum Berufswunsch geworden. Denn in der Online-Welt sind „Influencer“ als Personen bekannt, die die Meinung und das Verhalten anderer Menschen beeinflussen. Der Grundgedanke geht zurück auf eine von Paul F. Lazarsfeld veröffentlichte sozialwissenschaftliche Studie aus dem Jahr 1944. Darin kommen sogenannte „Opinion Leader“ (dt.: Meinungsführer) vor, die von anderen Menschen besonders geschätzt werden und deren Meinung für ihr Umfeld daher interessant und relevant ist. Dieses Prinzip nutzen heutzutage zum Beispiel Modefirmen oder politische Parteien, indem Schauspieler, Sänger, Sportler oder Prominente instrumentalisiert werden, um Einfluss auf bestimmte Zielgruppen zu gewinnen und deren Kauf- oder Wahlverhalten zu steuern. In sozialen Netzwerken wie Instagram oder Facebook arbeiten Menschen wie du und ich als bezahlte Influencer (z.B. für Modefirmen, Babyausstatter, Nahrungsmittelhersteller etc.). Auf den ersten Blick ganz normale Menschen, die zum Beispiel im Hintergrund ihrer Fotos gewisse Artikel wie zufällig platzieren oder bestimmte Produkte benutzen, um sie ins Bewusstsein ihrer „Follower“ zu rücken. Warum also nicht ein Jesus-Influencer werden? Einen Versuch war es wert.
So legte ich los. Zwar mit meinem beschränkten Talent, aber mit der spürbaren Hilfe Gottes. Ich wunderte mich, wie leicht mir das Zeichnen nach 15 Jahren Untätigkeit fiel, und ich führte es eindeutig auf den Segen Gottes zurück. In jeder freien Minute setzte ich mich hin und bat Gott, mir einen Bibelvers zu schenken, der irgendwen da draußen in der weiten anonymen Internetwelt an diesem Tag ansprechen und ihn mit Gottes Wesen und seinem Charakter in Berührung bringen sollte. Ich bat um gute Gedanken für passende Illustrationen. Nicht selten lag ich auf den Knien und flehte, dass meine Unfähigkeit durch Gottes Gnade und seinen Geist ausgeglichen werden würde. Dabei fielen mir die so liebgewordenen Verse aus Matthäus 5,14-16 ein: „Ihr seid das Licht der Welt. So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“
Ein Wirbelwind an Reaktionen
Tatsächlich ließen erste Rückmeldungen nicht lange auf sich warten. Wildfremde Menschen schrieben mir private Nachrichten, wie sehr sie sich durch die tägliche Begleitung mit Bibelversen gesegnet fühlten. Christen wie Nichtchristen reagierten auf die ins Internet gestellten Bilder. Ich war erstaunt. Warum war ich nicht schon viel früher auf diese Idee gekommen? Wie viel nutzloser Inhalt wird sekündlich im World Wide Web publiziert. Mir wurde immer klarer, wie sehr die Menschen sich wirklich nach gewinnbringenden, berührenden, „anderen“ Botschaften sehnten, die ihnen Hoffnung schenken, Perspektiven. Und welch hohe Verantwortung wir als Christen in diesem medialen Zeitalter wirklich haben, um die Weiten des Internets mit gewinnbringenden Inhalten zu füllen.
Zunächst fing ich mit ganz allgemeinen Bibelversen an – Versen, die von Schuhen, Kleidern, Parfüm, echter innerer Schönheit und Lebensglück sprachen. Also von allem, was meine Mädels auf den ersten Blick interessierte. Doch dabei blieb es nicht lange. Ich begann Bibelverse zu malen und zu handlettern, von denen ich genau wusste, dass sie auf eine aktuelle und bestimmte Situation im Leben irgendeiner dieser Freundinnen zu hundert Prozent passten. Wenig später erhielt ich erstaunte und zustimmende Rückmeldungen von ihnen. Ich nutzte auch die Möglichkeit, Zeugnis von meiner Liebe zu Gott und seinem Wort zu geben. „Dein Wort ist in meinem Mund süßer als Honig“ (Psalm 119,103), machte ich durch eine Illustration klar; und mit dem Vers aus Offenbarung 21,4 legte ich offen Zeugnis über die Hoffnung ab, die in mir lebendig ist: „Und Gott wird abwischen jede Träne von ihren Augen.“ Wer jetzt glaubt, dass man sich im Internet nicht auch trauen kann, eschatologische Themen auf den Punkt zu bringen, der hat sich weit geirrt, denn die Anonymität machte auch mich immer mutiger und direkter: „Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge“, zitierte ich (1. Petrus 4,7) an einem stürmischen Novemberabend, an dem selbst dem ungläubigsten Menschen angesichts des lauten Brausens vor seiner Haustür und den Negativnachrichten im Fernsehen Angst und Bange werden musste. Hinter der schützenden Tastatur des Smartphones oder Laptops können selbst die schüchternsten Christen zu echten Evangelisten werden!
Es glich einem Wirbelwind an Emotionen, was ich in den darauffolgenden Wochen erlebte. Zum Beispiel schrieb mich ein bekanntes Curvy-Model (ein Model für Übergrößen) an, die mir anscheinend folgte, ob ich ihr nicht einen der Bibelverse, der ihr besonders gefallen hätte, gegen ein Entgelt zeichnen könnte – etwas abgeändert, sodass die Personen ihr und ihrer Freundin ähnlich sahen. Natürlich schenkte ich ihr das Bild, denn ich hatte Gott versprochen, keinen Profit aus dem zu machen, was er mir „im Schlaf“ schenkte. Als ich die Postsendung an sie fertig machte, hatte ich den inneren Drang, ihr einen Bibelvers mit in den Umschlag zu legen: „Der Herr ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind.“ (Psalm 34,19) Alles in mir widerstrebte diesem Drang, denn ihr Leben schien perfekt. Und ich wollte mich in nichts einmischen, das mich nichts anging. Dennoch legte ich schließlich die Karte bei. Nur wenige Tage später erhielt ich die Nachricht, dass ihr Bruder vollkommen überraschend verstorben sei. Ich war wie in Trance und schrieb Dana*, ob ich etwas für sie tun könnte und wie es ihr ginge. Ihre Antwort kam als Selfie (Selbstporträt) mit dem Bibelvers, den ich ihr so widerwillig geschickt hatte. Ja, Gott ist allmächtig und er kennt die verrücktesten Wege, um Menschen zu erreichen!
Unglaublich, aber wahr
Kurze Zeit später nahm ich spaßeshalber an einem Wettbewerb teil. Dabei ging es um die Illustration für eine Postkarte: Sie sollte als Werbemaßnahme für ein Buch dienen, das eine adventistische Schriftstellerin herausgeben wollte. Das Werk hatte, wohlgemerkt, keinen christlichen Inhalt, sondern es handelte sich um eine Art Roman. Passend zur beschriebenen Hauptdarstellerin fertigte ich eine Illustration an und konnte es mir natürlich nicht verkneifen, einen Bibelvers daneben zu schreiben. Entgegen aller Erwartungen gewann ich den Wettbewerb und kann es bis heute nicht fassen, dass in 1.000 Haushalten irgendwo in Deutschland diese Postkarte gelandet ist und Menschen in Berührung mit Gottes Wort gebracht hat, die eigentlich nur einen Roman lesen wollten.
Eine Geschichte, die mich bei meiner „Instagram-Evangelisationsarbeit“ ganz besonders bewegt hat, ist die von Lara*. Ich bemerkte, dass sie mir recht aktiv folgte, meine Bilder gut fand und häufig kommentierte, was ich ins Internet stellte. Irgendwie kam sie mir bekannt vor und Gott legte sie mir besonders aufs Herz. Ich wusste, ich hatte sie schon einmal getroffen, konnte sie aber nicht einordnen. Schließlich fiel mir ein, wer sie war: Jemand hatte sie mir vor einigen Jahren vorgestellt; sie war damals Gast in einer Adventgemeinde gewesen und über ihren Freund „dazugekommen.“ Seitdem hatten sich jedoch ihre Wege von Gott wieder entfernt. Auf dem Youth in Mission Congress in Offenburg steckte sie mir in einem unbeachteten Moment eine Postkarte in die Handtasche, die ich erst einige Stunden später fand. Meine Augen füllten sich mit Tränen, als ich ihre handgeschriebenen Worte las. Sie erzählte mir, dass sie ganz zufällig auf „Artventist“ gestoßen sei, und zwar während einer Zeit, in der sie weit weg von Gott war. Sie berichtete, wie sehr die Bilder und Beiträge sie angesprochen hätten und in ihr die Sehnsucht nach einer Freundschaft mit Jesus und einer Beziehung mit ihm lebendig werden ließen. Sie schrieb mir, dass diverse persönliche Erfahrungen, die sie zu dieser Zeit gemacht hatte, verbunden mit dem Input aus dem Internet, dazu geführt hätten, dass sie sich gerne taufen lassen wollte. Nur wenige Wochen später hatte ich die große Freude, als eine ihrer „Taufpatinnen“ ihren Tauftext vorzulesen: „Denn alles ist mir möglich durch Christus, der mir die Kraft gibt, die ich brauche.“ (Philipper 4,13 NLB) Eine für mich immer noch unglaubliche Geschichte. Wie Gott mich als nutzloses Werkzeug mit beschränkten Gaben in seinen Dienst gestellt hat, um mit seiner Macht und Kraft die Herzen von Menschen zu berühren. Ein Wunder!
Mit den eigenen Gaben Gott bezeugen
Soziale Netzwerke haben angefangen, unser Leben radikal zu verändern. Was vor hundert Jahren noch undenkbar gewesen wäre, ist heute möglich: Mit einem einzigen Bild und einem einzigen Mausklick unzählige Menschen überall auf der Welt gleichzeitig zu erreichen. Kommt uns das nicht bekannt vor? „Die Botschaft vom Reich Gottes wird auf der ganzen Welt gepredigt werden, damit alle Völker sie hören, und dann erst wird das Ende kommen.“ Niemals war die Botschaft aus Matthäus 24,14 (NLB) so realistisch, so umsetzbar, wie heute im Zeitalter von Youtube, Instagram, Facebook, Blogs und Co. Soziale Netzwerke geben uns als Christen heute eine wunderbare Möglichkeit, Gott zu bezeugen und positive Impulse an andere weiterzugeben. Die Themen, mit denen wir als Adventisten Menschen erreichen können, sind so vielfältig wie die Gaben, die Gott jedem von uns gegeben hat. Es gibt bereits in Baden-Württemberg und darüber hinaus Geschwister, die in den unterschiedlichsten Bereichen des Internets ihre Talente einsetzen: ob mit Bildern, Videos, Vlogs, Blogs. Die Themen reichen vom Mama-Dasein über Gesundheit und Lebensstil bis hin zu Kurzandachten. Es gibt etwas, das Gott ihnen aufs Herz gelegt hat, das „ihr Thema“ ist und das sie mit ihren Gaben umsetzen können, um für andere ein Vorbild, ein Licht – ja, ein Influencer zu sein.
Um auf meine missionarischen Bemühungen vom Anfang zurückzukommen: Keine meiner Freundinnen hat sich bisher für Bibelstunden entschieden. Und manchmal spüre ich, wie Bitterkeit in mir hochkommt, weil Menschen einfach keinen Bekehrungsknopf haben, den ich drücken kann .... Aber eines weiß ich: Die Verantwortung, dass ein Mensch sein Leben Jesus übergibt, liegt nicht allein bei mir. Meine Aufgabe ist es lediglich, Samen auszusäen, wo ich auch bin und was immer ich tue – egal ob ich online oder offline unterwegs bin.
*Der Name wurde von der Redaktion geändert.