„Wir haben keine Anhänger, wir sind lauter Lokomotiven.“

Adventgeschichte
„Wir haben keine Anhänger, wir sind lauter Lokomotiven.“

Geschichten über Vorbilder aus der baden-württembergischen Adventgeschichte

Jung, entschlossen und einsatzfreudig: Viele Gemeindepioniere leisteten hierzulande eine wichtige Aufbauarbeit. Doch dazu galt es, den Anfang mit scheinbar nichts zu wagen. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt uns dabei mehr als nur das Wirken Gottes zugunsten der ersten Gemeinden und Gläubigen in Baden-Württemberg. Wir lernen Vorbilder kennen, deren Mut und Tatkraft beispielhaft sind. Fritz-Gerhard Link hat sich auf Spurensuche begeben und erstaunliche Berichte aus der erweiterten Auflage von „Aus Gottes Hand“ zusammengestellt.

Abends, mitten auf der Alb. Der Saal ist gefüllt. Doch der Zug, mit dem der Prediger nach Winterlingen anfährt, kommt ohne ihn an. Ein kurzes Gebet, und Agnes Köhle steht auf. Die junge Frau tritt kurzentschlossen vor das Publikum und übernimmt das Referat (vermutlich über ein prophetisches Thema, wie damals oft üblich) – und das in der noch männerdominierten Weimarer Republik mitten in den 1920er Jahren! Agnes Anna Berta Köhle (1904-2002) wurde in Wickede an der Ruhr geboren. Der Vater war Direktor einer Lampenfabrik, ihre Mutter Tochter eines Landwirts. Mit 16 Jahren wurde Agnes – nach ihrer Konfirmation – mit ihrer Mutter in der eiskalten Murg im Schwarzwald getauft. Danach besuchte sie mit 17 als jüngste Schülerin das adventistische Missionsseminar. Es war damals noch in Kirchheim/Teck, dann in Bad Aibling und schließlich auf der Darmstädter Marienhöhe. Nach ihrem Abschluss wurde sie am 1. Juni 1925 sofort bei der Vereinigung angestellt und mit einer eigenen, gerade entstandenen Gemeinde in Albstadt-Ebingen betraut. Ihr Leitspruch: „Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht, denn ich bin mit dir und niemand soll sich unterstehen, dir zu schaden, denn ich habe ein großes Volk in dieser Stadt.“ (Apg 18,9.10)

Die Missionarin berichtete wegen der noch geringen Bekanntheit der Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten über Schwierigkeiten mit den Behörden: „Die Polizei nahm uns mit auf die Wache, die anderen waren schon da. Ich sagte: ‚Herr Kommissar, Sie dürfen uns die Schriften nicht wegnehmen, das Geld schon gar nicht. Wir brauchen es für die Sache Gottes – und Ihr Vorgesetzter hat ja selber eine gekauft.‘ Wir kamen gut davon und gingen sehr froh nach Hause.“ Sie erzählte weiter, dass die leitenden Brüder und Schwestern auf die behördlichen Fragen zur Herkunft der „neuen Sekte“ über deren Größe und Anhängerschaft wie folgt frei antworteten: „Wir stehen für die Wahrheit der Bibel, wir haben keine Anhänger, wird sind lauter Lokomotiven.“

Wie geistgewirkt Agnes arbeitete, zeigt eine weitere ihrer vielen Glaubenserfahrungen: Die durch die Haus-zu-Haus-Mission stadtbekannte Agnes Köhle wohnte zur Untermiete bei Familie Karl Eppler. Deren erwachsene Tochter Sophie wurde von einer anderen örtlichen Glaubensgemeinschaft angehalten, nicht mit der Untermieterin zu sprechen. Selbst an solche kleinen Dinge hielt sich die junge Missionarin. So bat Agnes Köhle die Tochter, sie zum Aussichtsturm auf dem Schlossberg zu führen. Diesem Wunsch konnte sich Sophie schlecht verweigern. Auf dem Weg befand sich eine Bank, auf der die beiden ausruhten. Agnes Köhle stellte hier nun Fragen zum biblischen Ruhetag, zur Wiederkunft Christi und zur Taufe. Diese konnte die Tochter nicht beantworten, sodass Agnes Köhle darauf einging. „Wer an den Sohn glaubt, der hat ewiges Leben; wer aber dem Sohn nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen.“ – Diese Worte aus Johannes 3,36 trugen dazu bei, dass sich die Tochter in dieser ersten Bibelstunde für Jesus entschied. Nach weiterem Unterricht folgte wenige Monate später die Taufe. Sophie verzichtete aus Überzeugung auf den Lohn am Sabbat, hatte dadurch aber keine finanziellen Verluste. Sie wirkte bald als Schatzmeisterin und auch als Buchevangelistin. 

Gott gibt Hinweise in einem Traum

Einige Zeit zuvor, im Jahre 1919, hatte Prediger Fritz Dürr jenseits des Neckars im fünfzig Kilometer entfernten Busenweiler begonnen, eine Evangelisation vorzubereiten. Unter den Besuchern an der Oberen Dornhaner Steige waren Jakob und Johannes Reis mit deren Ehefrauen sowie das Ehepaar Christian und Anna-Maria Maier. Auf der Suche nach Antworten lernten sie dort die Drei-Engelsbotschaft aus Offenbarung 13 kennen. Gerade die Auslegung des letzten Buches der Bibel durch ihre Kirche war für sie nicht zufriedenstellend gewesen. Anna Maier konnte dem Pfarrer bei der Interpretation von Offenbarung 6,6 einfach nicht zustimmen. Als sie ihm Fragen zu anderen Bibelstellen der Offenbarung stellte, fertigte dieser das Gemeindeglied mit den Worten ab: „Was man in der Bibel nicht versteht, soll man ruhen lassen.“ Vor dem Besuch der Evangelisation hatte Anna-Marie Maier interessanterweise einen Traum. Die Gemeindechronik1 berichtet, dass sie über den Weg ein weißes Banner (wie es heute oft auf Demonstrationen benutzt wird, um Aufmerksamkeit zu erreichen) gespannt sah. Sie glaubte, es sollte ein Zeichen für die baldige Beendigung des Krieges sein. Sie wollte nun die Vorträge von Prediger Dürr eigentlich gar nicht besuchen, weil sie meinte, es spreche hier ein falscher Prophet. Ihre Schwägerin drängte sie jedoch mitzugehen. Während der Versammlung sah sie nun das Banner aus ihrem Traum, den sie bisher anders verstanden hatte. So war sie jetzt davon überzeugt, dass Gott ihr damit einen klaren Hinweis gegeben hatte.
           
„Way-out Team“ begeistert Jugendliche für Jesus

Fünfzig Jahre später waren es erneut junge Gläubige, die in ihrer Stadt Engagement zeigten. Im siebzig Kilometer entfernten Donaueschingen wollten sie der Flucht der Jugendlichen aus den Kirchen nicht tatenlos zusehen. Während im Jahr 1972 die 20. Olympischen Spiele in München stattfanden, erlebte die Stadt eine Jugendevangelisation. Eine Gruppe adventistischer Jugendlicher – sie nannten sich „Way-out Team“ – arbeitete für die lokale Mission auch über die Stadtgrenzen hinaus zusammen. Weil ihr Interesse allein der Begeisterung von Jugendlichen für Jesus galt, bezogen sie andere Glaubensgemeinschaften mit ein. Der Besuch des katholischen Stadtpfarrers in Hegau führte sogar dazu, dass sich dieser beim Bürgermeister für die kostenlose Bereitstellung der Turnhalle einsetzte. Die Jugendlichen traten in Blumberg, Tuttlingen und Donaueschingen in der Adventgemeinde sowie in der Eichendorffschule auf. In letzterer organisierten sie ab 1. November eine sechstägige Veranstaltungsreihe unter dem Motto „Jugend für Jugend“ zu folgenden Themen: „Christentum – Pleite Gottes?“, „Deine Zeche zahlt der Wirt“, „Der einzige Ausweg“, „Der Schritt über die Linie“, „Wie viel Zeit bleibt uns?“ und „Bist du noch zu retten?“ Dabei besuchten jeweils rund sechzig Jugendliche und einige Erwachsene die Veranstaltungen. Die Aktion erregte so viel Aufmerksamkeit, dass sogar die örtliche Presse über das „Way-out Team“ berichtete.

Donaueschinger Lutz Binus führt Taufen in Indien durch

Einer der Jugendlichen, Lutz Binus (*1954), folgte den Fußspuren seines Vaters und wählte ebenfalls den Beruf des Pastors. Nach dem Abschluss des Seminars Marienhöhe arbeitete er zunächst als Prediger in Deutschland und dann in der Oregon-Vereinigung der USA. Von dort ging er 2003 mit einem Missionsteam nach Zentralindien. Ziel war Tandur, eine Stadt mit 50.000 Einwohnern in einer ländlichen Gegend.2 Bibelarbeiter lebten dabei vier Wochen mit den hinduistischen Dorfbewohnern zusammen. Durch Gottes Vorsehung kamen die Prediger in Kontakt mit Frau Samson, einer einflussreichen Christin in Tandur. Diese wiederum machte sie mit anderen christlichen Gemeinschaften wie den Methodisten bekannt. Auf deren Schulgelände fand dann eine zweiwöchige Evangelisation mit 800 bis 1.200 Besuchern statt. Dabei wurden bewegende Lieder gesungen und es gab Gesundheitsbeiträge sowie evangelistische Vorträge von Pastor Binus. „Der Jesusfilm in ihrer eigenen Telugu-Sprache begeisterte Jung und Alt“, wie Binus feststellte. „Jeden Abend wartete ich schon auf die Dorfbewohner, wie sie auf den überfüllten Traktoranhängern ankamen mit Singen und voller Erwartungen“, wie Carl Schwartz von der Technik feststellte. „Es war schön, die Freude in ihren Augen zu sehen, wenn sie uns sahen.“ Mit ihnen kam auch der Geruch von Küchenfeuern und Misthaufen. Gerade diese einfachen Menschen mit ihren abgetragenen, jedoch sauberen Kleidern, und ihren sonnenverbrannten Gesichtern waren es, die ihre Herzen und ihr Leben für Gott öffneten.

Geschichten wie diese bezeugen, welch unglaubliche Kraft das Evangelium damals wie heute hat. Sie erinnern uns aufs Neue, dass für die Entstehung und das Wachstum von Gemeinden Gründergeist und Mut Voraussetzung sind – und dass das erstaunliche Wirken Gottes den entscheidenden Rest dazu beiträgt.

Wer mehr über das Buchprojekt „Aus Gottes Hand“ erfahren möchte, erhält in diesem Video weitere Informationen:
https://vimeo.com/manage/videos/639419882/287874d7e9

Quellen:

1 Adventgemeinde Busenweiler (1982): Gemeinde Busenweiler der Gemeinschaft der STA 1922-1982. Aus unserer Chronik.
2 Lutz Binus, Missionsbrief 2003, Nr. 18, S. 8

 

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